Anleitung zum Systemwechsel
So wie es ist, kann es nicht bleiben — eine Überlegung zum Ausstieg aus dem Kapitalismus und zum Beginn von etwas Neuem.
Es gibt viele gute Ideen für eine andere Welt jenseits des Kapitalismus. Was es aber nicht gibt, ist ein Plan zur Durchsetzung dieser Ideen. Die Frage ist, was sich aus den bisherigen Erfahrungen politischer Parteien, sozialer Bewegungen und aus dem politischen Engagement von Menschen lernen lässt und wie daraus ein Plan für den Ausstieg aus dem Kapitalismus abgeleitet werden kann.
Politisches Engagement außerhalb des etablierten und institutionalisierten Betriebs führt immer wieder auch zu der Frage, wie man durchsetzungsvoller agieren kann beziehungsweise wie man überhaupt Wirkung entfalten kann. Manchmal fühlt man sich dabei geradezu ohnmächtig gegenüber einem riesigen staatlichen Apparat, gegenüber milliardenschweren Konzernen, den durchdringenden Massenmedien oder einfach nur gegenüber dem, was alle sagen, meinen und machen. Die Frage, die in dieser Hinsicht am weitesten reicht und vermutlich am schwierigsten zu beantworten ist, ist die Frage nach einem Systemwechsel. In Bezug auf diese letzte Frage bringen Daniela Dahn und Rainer Mausfeld die Sache auf den Punkt: Es mangele nicht an guten Ideen für eine bessere Welt, sondern es fehle ein Plan zu deren Durchsetzung (1). Das stimmt. Es ist Zeit, über einen solchen Plan nachzudenken.Wir beginnen mit einer Bestandsaufnahme.
Die Antwort des Altmeisters
Wie erreicht man die Menschen? Wie entfaltet man Wirkung? Noam Chomsky wird das immer wieder auf die eine oder andere Weise gefragt. Der emeritierte Professor für Linguistik, langjährige Mitarbeiter am renommierten Massachusetts Institute of Technology, politische Aktivist, Autor zahlreicher Bücher und scharfe Kritiker US-amerikanischer Politik und Außenpolitik ist auch nicht irgendwer. Die *New York Times*, die auch nicht irgendeine Zeitung ist, bezeichnete ihn einst als einen der wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts. Dieser Ritterschlag aus dem Herzen der etablierten Medienwelt, die regelmäßig selbst Chomskys Kritik ausgesetzt ist, fehlt selten in einer Vorstellung dieses so umtriebigen und produktiven Charakters.
Die Frage variiert. Mal ist es die Frage danach, wie man bei einem bestimmten Anliegen, für das man sich engagiert, Erfolg haben kann, dann wie man Einfluss auf die großen politischen Entscheidungen nimmt und eben auch wie man alles ändert und den Kapitalismus überwinden kann. Chomskys Antwort ist, je nach der Fragestellung, spezifisch, aber im Grunde antwortet er immer gleich beziehungsweise lassen sich seine Antworten zu einer einzigen zusammenfassen. In der Einführung zu Chomskys Buch „Rebellion oder Untergang!“ schildern die Herausgeber Charles Derber, Suren Moodliar und Paul Shannon eine sogenannte typische Chomsky-Veranstaltung als eine breit angelegte, öffentliche Vorlesung und Konversation (2), in der Chomsky stets in einen Austausch mit seinem Publikum kommt. Bei jeder Chomsky-Veranstaltung, so die Herausgeber, tauche diese Frage wiederholt auf (3).
Beides ist bemerkenswert: sowohl die sich wiederholende Frage als auch die gleichbleibende Antwort. Die Frage selbst ist dabei wenig überraschend, sondern im Gegenteil so drängend wie naheliegend. Natürlich will man angesichts existenzieller Probleme wissen, was zu tun ist und wie man möglichst wirkungsvoll agiert und viele Menschen erreicht. Die Antwort, so wie Chomsky sie gibt, ist bei genauerer Betrachtung ebenfalls naheliegend. Gleichzeitig ist sie unbefriedigend, und das vor allem, weil sie nie auch den Weg offenbart, wie man wirklich letztlich dahin kommt, wohin der Weg führen soll: in eine bessere, friedliche Welt. Die Antwort bleibt an dieser Stelle unklar, und die Frage bleibt unbeantwortet im Raum stehen — und wird vermutlich auch deswegen stets wiederholt gestellt.
Chomskys Antwort ist nachvollziehbar und sicher auch nicht falsch. Es ist eine gute Antwort, die man sich bewusst machen sollte, wenn man sich engagiert und politische oder gesellschaftliche Veränderungen erreichen will. Sie soll hier kurz skizziert werden: Chomsky sagt, dass man zunächst aus seiner Isolation heraus muss, das heißt, man muss sich mit Gleichgesinnten zusammentun, um sich dann zu engagieren. Dann muss man Aufklärung betreiben — immer und immer wieder. Man muss den Menschen die Fakten darlegen und ihnen die Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Wenn man viele Menschen erreicht und sich eine kritische Masse bildet, kann man Druck auf die Entscheidungsträger ausüben und so Veränderungen durchsetzen.
Das, so Chomsky, sei der Weg, und dieser habe in der Vergangenheit auch wiederholt funktioniert. Veränderungen seien möglich. Es brauche einen langen Atem und kontinuierliche Arbeit an der Basis. Darüber hinaus müsse man sich mit anderen auch auf einer internationalen Ebene vernetzen, denn die großen Herausforderungen seien mittlerweile globaler Natur und könnten nur gemeinsam in internationaler Kooperation angegangen werden. Die unmittelbaren Probleme könnten zudem nur innerhalb der bestehenden Institutionen angegangen werden, da die Bedingungen für weitreichende institutionelle Veränderungen noch nicht gegeben seien, obwohl die Keime einer solchen Entwicklung tatsächlich schon da seien (4).
So weit, so gut, könnte man bis hierhin sagen. Chomskys Analyse und Antwort sind treffend. Gleichzeitig sind sie nüchtern, und es bleibt das Gefühl der eigenen Ohnmacht, ob der Größe der vor einem liegenden Aufgaben. Was fast gänzlich fehlt, ist ein systematischer Ausweg, also die Perspektive, wie man das ganze System — den Kapitalismus im weitesten Sinne — überwinden kann. Die Antwort vermittelt zu wenig Hoffnung und bleibt unbefriedigend. Es braucht eine bessere und weiterführende Antwort — vielleicht eben auch einen Plan.
Interessen gegen Ideen
Zu unterscheiden ist vielleicht noch einmal, worum es geht oder gehen könnte. Dahn und Mausfeld erinnern uns daran, dass es viele gut durchdachte Ideen gibt. Als Beispiele nennen sie die Gemeinwohlökonomie, Ideen zum Klimaschutz, zur Umverteilung von Reichtum, zu einem neuen Geldsystem, neuen Formen von Demokratie oder eine soziale Bildungsoffensive. Diese Liste ließe sich ergänzen um das Grundeinkommen, die Verteilung der Arbeit und die Arbeitszeitverkürzung, Ideen vom Gemeingut oder Commons, eine sozialökologische Verkehrswende oder lokale Kreislaufwirtschaften.
Diese Ideen sind alle nicht schlecht und können auch zusammengedacht werden. Sie sind aber noch zu unterscheiden von der Idee, das gesamte kapitalistische System zu überwinden und eine neue Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf diesem Planeten zu schaffen. Für beides — die vielen „kleinen“ Ideen und die Idee, alles zu ändern — fehlt ein Plan zur Durchsetzung.
Warum aber, wenn die Ideen doch so gut sind, werden sie auf der politischen Ebene nicht aufgegriffen und verfolgt? Die Vorstellung, dass es nur um Ideen geht und sich die bestmögliche durchsetzen wird, eben weil sie die bestmögliche ist, ist naiv. Es geht nicht um Ideen, sondern um Interessen. Und dieser Unterschied ist fundamental.
Chomsky liefert dafür ein anschauliches und — mit Blick auf den Zustand der Welt im 21. Jahrhundert — nicht ganz unwesentliches Beispiel (5). Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs hatten die US-amerikanischen Verantwortlichen erkannt, dass eine dauerhafte staatliche Stimulanz und Intervention des Staates in den Wirtschaftskreislauf höchst förderlich ist, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Frage, die sich nach dem Ende des Krieges stellte, war nur, wohin dieser dauerhafte Mittelzufluss von staatlicher Seite gerichtet sein sollte: in den militärischen oder in den sozialen Bereich. Die Entscheidung stand schnell fest. Die Strukturen, die sich während des Zweiten Weltkriegs in den USA gebildet hatten und die der US-amerikanische Soziologe Charles Wright Mills in seinem fast zeitlosen Werk „Die amerikanische Elite“ so eindringlich beschreibt (6), beherrschten die Politik und gaben die Richtung vor. Es ist diese Struktur, die später vom scheidenden US-Präsidenten Eisenhower als militärisch-industrieller Komplex bezeichnet worden ist, welche sich für die militärische Linie entschieden hat.
Vor die Frage gestellt, ob man staatliche Mittel besser in Panzer, Flugzeuge, Raketen und die militärische Forschung oder in Schulen, Krankenhäuser und eine öffentliche Verkehrsinfrastruktur lenken sollte, würden sich fast alle Menschen für den sozialen Bereich entscheiden. An dieser Entscheidung dürfte auch der aktuelle Krieg in der Ukraine nichts ändern, wenn er nicht durch die massenmediale, blickdichte Brille, sondern historisch, geopolitisch und aus einer neutralen Position heraus betrachtet würde. Es hilft auch nichts, den Entscheidern zu sagen, dass es die Welt besser machen würde, wenn man öffentliche Gelder für soziale und menschliche Zwecke ausgeben würde, anstatt Rüstungsgüter zu kaufen, dass also diese erste Idee „besser“ ist. Man hat sich bewusst anders entschieden und das im Zweiten Weltkrieg entstandene System einfach fortgesetzt.
Die Interessen der Herrschenden überwiegen
Und genauso wie damals ist es müßig, die Diskussion zu führen, was besser wäre, denn die Interessenlage gibt die Richtung vor. Im Übrigen warnte Mills nicht nur deutlich vor dem gestiegenen Machtzuwachs und Einfluss des Militärs, sondern auch vor dem Erstarken der Konzerne und dem Weg der modernen Gesellschaften in die Massengesellschaft. Mills meinte — bereits vor über 60 Jahren — hinsichtlich der Macht der Konzerne, dass es keine Macht gebe, „die wirksam und auf die Dauer gegen sie aufkommen kann“ (7). Am Ende des Weges der Massengesellschaft, so Mills, liege der „Totalitarismus wie im nationalsozialistischen Deutschland und im kommunistischen Rußland“ (8).
Die Macht der Konzerne ist seit den Zeiten von Mills nicht geringer geworden, und in den modernen Staaten des Westens wird der chinesische Autoritarismus und die dortige Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung teilweise weniger kritisch, sondern eher als etwas betrachtet, von dem man lernen kann. Die Technokratie als systemischer Zwang ist Ausdruck eines zunehmenden staatlichen Autoritarismus. Uniforme Meinungen und die Unterdrückung anderweitiger Meinungen sind ein weiteres Kennzeichen autoritärer und totalitärer Staaten. In vielen Ländern, und nicht zuletzt den europäischen, fällt es nicht schwer, in den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit, etwa der letzten 20 Jahre, eine solche Richtung zu erkennen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die vielen guten Ideen zwar alle in Richtung einer besseren Welt gehen, dass sie aber nicht im Interesse derjenigen liegen, die Macht haben. Es ist im Grunde also ganz simpel und dann wieder doch nicht so ganz einfach, weil die Welt zu komplex ist, um fundamentale Dinge einfach zu ändern. Das gilt auch für den Weg über diejenigen, die am ehesten etwas tun könnten. Man wird die Machtelite — wie immer man diese Gruppe auch begreift — nicht als Gesamtheit erreichen. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass dies gelänge, erforderten fundamentale Änderungen eine Kooperation auf internationaler Ebene, die im Widerspruch zum auf Konkurrenz und Wettbewerb basierenden politisch-ökonomischen System steht.
Das Spannungsverhältnis zwischen Ideen und Interessen hatten auch Keynes und von Hayek als zentralen Punkt ins Auge gefasst und ihre Überzeugung geäußert, dass es letztlich die Ideen sind, die sich gegenüber den Interessen durchsetzen. Bei dieser Überlegung, die zunächst auch nicht mehr als eine solche und eben nicht zweifelsfrei bewiesen ist, sind Variablen im Spiel. Um welche Ideen geht es und um welche Interessen? Die Feststellung, dass sich nicht jede Idee gegen jedes Interesse durchsetzen wird, ist banal. Und wenn es bei den Ideen nur um ökonomische Theorien geht, dann ist das noch etwas anderes als Ideen von einer anderen Art von Gesellschaft.
Gerade der von Hayek vertretene Neoliberalismus hatte es, als er benötigt wurde, nicht wirklich schwer, in einschlägigen elitären Kreisen angenommen und als Ideologie vor sich hergetragen zu werden. Mit der Idee von einer klassenlosen Gesellschaft wird man in den Palästen weniger offene Türen einrennen. Diese ist eher attraktiv für diejenigen, die die Paläste allenfalls von außen kennen. Zu fragen ist, mit welcher Macht die Interessen verbunden sind und mit welcher Wirkmächtigkeit die Ideen dieser Macht entgegentreten können. Die Frage der Macht spielt bei der Durchsetzung von Interessen eine zentrale Rolle und kann nicht außer Acht gelassen werden.
Ein Kosmos von Alternativen
Neben den Ideen steht die Praxis. Wie schaut es aus mit den vielen kleinen und größeren Initiativen, Projekten und gelebten Alternativen, die, teilweise verwoben mit den Ideen, versucht worden sind oder die bereits heute existieren und gewissermaßen als Keimzellen des Neuen betrachtet werden können? Welchen Beitrag leisten sie, und was können sie leisten? Sind sie unabdingbar und der Schlüssel auf dem Weg zu einer neuen Welt, oder sind sie als kleine Inseln in der rauen und sturmgepeitschten kapitalistischen See zum Untergang verdammt und bald darauf wieder vergessen?
Ein sehr unvollständiges, oberflächliches und gleichzeitig weit gefasstes Bild könnte gezeichnet werden, indem man sowohl politisch-soziale Kämpfe, alternative Gesellschaftsformen, Versuche, anders zu wirtschaften, und einzelne Ideen, die sowohl systemimmanent sein als auch im Widerspruch zum Kapitalismus stehen können, gemeinsam betrachtet und als Sammlung von Versatzstücken nebeneinander stellt. Ein solches blitzlichtartiges Spektrum soll hier in der allerknappsten Form als Aufzählung genügen. Es ist kein Ersatz für eine umfangreichere und detaillierte Betrachtung, die zu unternehmen wäre.
Spannte man den Bogen sehr weit, könnte man dafür im antiken Griechenland und bei der attischen Demokratie beginnen. In jedem Fall ließen sich in eine solche Betrachtung die Commons, also die gemeinsame Nutzung von Wald- und Weideland in England, aufnehmen. Daneben könnte, als Beispiel für den Versuch, eine egalitäre Gesellschaft zu schaffen, die Pariser Kommune stehen oder die anarchistische Bewegung in Spanien, die ihren Höhepunkt und Niedergang in den 1930er-Jahren erlebte. Auch den aktuellen Befreiungsbewegungen in Chiapas in Mexiko oder in Rojava in Syrien geht es um Autonomie. Bei beiden werden eine basisdemokratische Organisation und die Gleichheit der Geschlechter betont.
Im Kosmos alternativer Lebenswelten könnten wir, wenn wir unsere Reise durch Raum und Zeit fortsetzen, auf kleinste, punktuelle Versuche stoßen, eine Gesellschaft nach anarchistischen Prinzipien zu organisieren. Wir würden unter anderem fündig im andalusischen Dorf Marinaleda oder in der Freistadt Christiania in Kopenhagen. In der dänischen Hauptstadt finden wir aber noch viel mehr, wenn wir einen Blick in eine mögliche Zukunft werfen wollen. Kopenhagen gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte weltweit und will als erste Stadt — ebenfalls weltweit — im Jahr 2025 CO2-neutral sein.
Nachhaltige Energieerzeugung und Dezentralität führen uns zu den Initiativen, die die Energieversorgung in Bürgerhand legen, und zu Energiegenossenschaften. Bei Genossenschaften fallen uns als Erstes selbstverwaltete Wohnungsbaugenossenschaften ein und dann die spanische Genossenschaft Mondragón, die zugleich ein Konzern und das siebtgrößte Unternehmen Spaniens ist und die weniger nach kapitalistischen Prinzipien agiert, sondern die Interessen ihrer Arbeitnehmer in den Vordergrund stellt.
Andere Formen von Arbeit
Anders wirtschaften lässt sich aber nicht nur in der Form der Genossenschaft. Kollektivbetriebe bilden eine Möglichkeit, bewusst anders zu arbeiten — nicht losgelöst vom Kapitalismus, aber eben nicht mit dem Blick auf den Profit, sondern ökologisch, solidarisch und sozial. Hier ist fast alles denkbar und vorhanden: der Handwerksbetrieb, die Fahrradwerkstatt, das Café und die Kneipe, die Einkaufsgenossenschaft, der Landwirtschaftsbetrieb, der Verlag, die Druckerei und der Buchhandel. Und auch in den Bereichen Bildung, Beratung und IT finden sich Beispiele. Das für sich genommen ist schon eine spannende Entwicklung. Noch spannender wird es, wenn daraus Netzwerke entstehen. Und noch einen Schritt weiter gedacht, könnten daraus auch größere Strukturen nicht unähnlich der bereits erwähnten spanischen Genossenschaft entstehen. Das könnte sogar der Pfad zu einer anderen Ökonomie sein.
Anders arbeitet man auch, wenn man insgesamt weniger arbeitet, dabei die Arbeit verteilt und niemanden ausschließt. Während hierzulande einzelne Betriebe ihre Arbeitszeit kollektiv senken, setzt Island nach einer mehrjährigen Experimentierphase seit dem Jahr 2021 als komplettes Land auf eine Vier-Tage-Woche bei einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden — natürlich ohne Lohnverlust. Vorbildlich ist auch das kleine österreichische Dorf Marienthal, das ohne zusätzliche Kosten für den Staat die Langzeitarbeitslosigkeit durch eine Garantie auf einen Arbeitsplatz beseitigt hat. Die ehemals von Arbeitslosigkeit Betroffenen haben damit ein besseres finanzielles Auskommen, können an der Gesellschaft teilhaben und leisten einen sinnvollen Beitrag für die Gemeinschaft. Die Stimulierung der lokalen Ökonomie ist ein weiterer Pluspunkt.
Ganz ohne Arbeit kann es funktionieren, wenn man auf ein bedingungsloses Grundeinkommen setzt. Natürlich — wieder gedacht an eine Ökonomie als Ganzes — auf Dauer nicht ohne Arbeit und eine Tätigkeit der Menschen, aber eben ohne den Zwang und mit einer Garantie der grundlegenden Bedürfnisse. Immer wieder werden hierzu lokale Experimente gestartet.
Was eine alternative Gesellschaft auch wertvoll machte, wären unabhängige Medien. Die vollständige finanzielle Unabhängigkeit ist das Mindeste, was gelten müsste. Es bräuchte aber noch mehr. Wenn die Medien, unabhängig von ihrer Finanzierung, dennoch zu oft unkritisches Sprachrohr als aufklärerisch tätig wären, dann wäre nicht viel gewonnen. Wenn die Massenmedien nicht viel mehr tun, als die Gedanken der Herrschenden zu den herrschenden Gedanken zu machen, dann werden alternative Möglichkeiten der Vermittlung benötigt. In jedem Fall sind unabhängige Medien — so gedacht — ein wesentlicher Baustein auf dem Weg in eine andere Welt. Entsprechend positiv ist hier die Entwicklung der letzten Jahre im Bereich alternativer, überwiegend digitaler, medialer Angebote zu bewerten.
Manches aus der Praxis ist gescheitert, wurde gewaltsam bekämpft oder hat sich in eine ganz andere Richtung entwickelt als gedacht und erhofft. Und es ist auch nicht alles so schön und glänzend, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint. Aber auch die negativen Erfahrungen sind Erfahrungen und Dinge, aus denen man lernen kann. Das Umsetzen und das Machen sind wichtig, denn es sind diese Erfahrungen, die zeigen, was geht, was gut ist, was funktionieren kann und was auch nicht geht. Es sind die Keimzellen, ohne die es nicht geht. Sie alleine aber werden nicht reichen. Wir kommen darauf zurück, wenn wir über die Verbindung von Ideen mit der Praxis, über mögliche Pläne und über wahrscheinliche Widerstände nachdenken.
Soziale Bewegungen und Protest
Zu einer Bestandsaufnahme gehören neben den Ideen und den Beispielen aus der Praxis die sozialen Bewegungen und die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich punktuell oder spezifisch engagieren und die in einer wechselseitigen Beziehung zu den Ideen und den Praxisbeispielen stehen. Die jüngere Vergangenheit hat eine Reihe größerer Protestbewegungen hervorgebracht, die national, regional und manchmal auch global die Menschen mobilisieren konnten.
Es ist elf Jahre her, als im Zuge der weltweiten Finanzkrise, die in den Jahren 2007 und 2008 ihren Ausgang nahm, eine Protestwelle rund um die Welt ging. In Spanien besetzen die Indignados die öffentlichen Plätze, während Occupy Wall Street namensgebend für eine gesamte globale Bewegung wurde, die den öffentlichen Raum einnahm und die Plätze besetzte. Zeitgleich erhoben sich die Menschen in den nordafrikanischen Staaten im Nahen und Mittleren Osten. Während in Letzteren autoritäre Herrscher, die teilweise jahrzehntelang geherrscht hatten, hinweggefegt, Regierungen neu gebildet und weitreichende Zugeständnisse an die Menschen gemacht wurden, protestierten die Menschen auf den Plätzen im Westen gegen ein ausuferndes und sich selbst bereicherndes Finanzsystem. Die Proteste in den südlichen Ländern Europas, allen voran in Griechenland, setzten sich durch die anschließende Eurokrise noch über Jahre fort. Die Occupy-Bewegung, die trotz ihrer Radikalität und Systemkritik viel Zuspruch aus der Bevölkerung erhielt, weil man übereinstimmend im Finanzsystem den Übeltäter erkannte, stach gleichzeitig dadurch hervor, dass sie keine Forderungen erhob. Somit blieb weitestgehend unklar, wofür die Bewegung eigentlich stand.
So umfangreich die politischen Erhebungen und sozialen Bewegungen, die im Jahr 2011 begonnen hatten, auch ausgefallen waren, so ernüchternd fällt die politische Bilanz sowohl für den nordafrikanisch-arabischen Raum als auch für die westlichen Staaten aus. In Libyen ist nach der Invasion eines westlichen Bündnisses ein zerrütteter „Failed State“ übrig geblieben, während in Ägypten das Militär unter schweigender Zustimmung des Westens die gewählte Regierung wegputschte und erneut ein unterdrückerisches Regime installierte. In Syrien brach ein Bürgerkrieg aus, der fast zehn Jahre dauerte und das Land verwüstete. Die Proteste im Westen verhallten hingegen, ohne eine spürbare Wirkung zu zeigen. Als letzte Überbleibsel fanden sich vereinzelte Camps, die auch in deutschen Städten Durchhaltevermögen bewiesen.
Die anschließende Regulierung des Banken- und Finanzsektors kann als politische Reaktion der Staaten betrachtet werden, die auch ohne das Zutun der Protestbewegungen erfolgt wäre. Die durch die Eurokrise in den am schwersten betroffenen Ländern — vor allem in Griechenland — exerzierte Politik, die von der sogenannten Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds vorangetrieben wurde, war das Gegenteil dessen, wofür die Menschen ihren Protest so vehement auf die Straße getragen hatten. Es war zudem ein Versagen der politischen Linken in Europa.
Fast fließend kam der Übergang zur Durchsetzung einer Reihe von Freihandelsabkommen, die Konzerninteressen über die Souveränität von Staaten stellen sollten. Das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zwischen den USA und der EU war das prominenteste Beispiel dieser multinationalen Vertragswerke. Die Verhandlungen, die im Jahr 2013 ihren Ausgang nahmen, wurden lange durch anhaltende Proteste auf beiden Seiten des Atlantiks begleitet. Kritisiert wurden die Intransparenz, die einseitige Berücksichtigung und Beteiligung von Konzern- und Wirtschaftsvertretern und die privaten Schiedsgerichte, die mit am deutlichsten den Charakter der Vereinbarungen offenbarten. Es waren nicht die starken Protestbewegungen, die dem TTIP letztlich den Wind aus den Segeln nahmen, sondern der Wille des neuen US-Präsidenten Donald Trump — eine der befremdlichsten Personen, die je das höchste Amt im mächtigsten Staat der Erde bekleidet hatte.
Von Occupy und TTIP zu Fridays for Future und Corona
Wenig später betrat die junge schwedische Schülerin Greta Thunberg die politische Bühne und initiierte die weltweite Bewegung Fridays for Future, die sich für den Klimaschutz und die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels aus dem Pariser Weltklimaabkommen engagierte. Millionen meist junger Menschen gingen dafür regelmäßig auf die Straße, bestreikten die Schule und forderten deutliche Maßnahmen für den Erhalt der Biosphäre. Auch diese Bewegung konnte auf einen großen Rückhalt in der Bevölkerung bauen. Eltern, Lehrer und Wissenschaftler engagierten sich in eigenen Gruppen und unterstützten die Bewegung. Trotz des starken Protests blieben die Maßnahmen der politisch Verantwortlichen weit hinter den Forderungen zurück.
In Deutschland profitierte die Partei Bündnis 90/Die Grünen am deutlichsten bei der Bundestagswahl von diesem neuen Geist. Eine Reihe neuer, junger Abgeordneter schaffte den Sprung ins Parlament. Kaum dort angekommen, brach Anfang 2022 der Krieg in der Ukraine aus. Die ehemals pazifistischen Grünen, deren Aushängeschild stets der Umweltschutz gewesen war, mutierten zu den vehementesten Verfechtern von Sanktionen, Waffenlieferungen und Hochrüstung und traten schon alleine mit dieser Entscheidung den Klimaschutz mit Füßen. Der selbst auferlegte Boykott russischer Energieträger, der sein erklärtes Ziel verfehlt, ist politisch verantwortungslos und lässt die ehemals für den Umweltschutz stehenden Grünen eine Rolle rückwärts zu Atomenergie und Kohlekraftwerken vollführen.
Die Klimabewegung als Ganzes ist sicher nicht von der Bildfläche verschwunden und sie wird, auch wenn Fridays for Future sich voraussichtlich kaum dauerhaft als treibende Kraft halten kann, weiter an Zuwachs gewinnen. Der Krieg in der Ukraine liegt nicht in der Verantwortung der Klimabewegung. Gleichzeitig ist er eine Zäsur für den Schutz unserer Biosphäre und alleine in dieser Hinsicht ein Rückschlag, wie er schlimmer kaum sein könnte.
Fast parallel zu Fridays for Future zog das Coronavirus um die Welt. Die zunehmend autoritären und unverhältnismäßigen politischen Maßnahmen, die auf Basis einer unklaren Faktenlage getroffen wurden, forcierten einen weltweiten Protest. In vielen deutschen Städten spazierten Tausende von Menschen gegen den Impfzwang, staatlichen Autoritarismus und die Aussetzung von Grundrechten. Mit dem Krieg in der Ukraine und der wärmeren Jahreszeit ist es für den Moment ruhiger um Corona geworden. Eine Fortsetzung ist aber keinesfalls ausgeschlossen und, schlimmer noch, droht uns ein dauerhaftes technokratisches Regime, das im Bereich des Gesundheitsschutzes dem Impfen den Vorzug vor einer soliden Basishygiene mit einem gut ausgebauten Gesundheitssektor gibt.
So werden die Interessen von Pharmaproduzenten bedient und gleichzeitig der Boden bereitet, um die Bevölkerungen enger zu führen und zu kontrollieren. Schon das Äußern abweichender Meinungen gilt spätestens seit der Coronapandemie als subversiv und latent staatsfeindlich. Die wahrnehmbarste Forderung der Spaziergänger ist die nach einer freien Impfentscheidung. Eine weiterführende politische Organisation, Vernetzung und Zielsetzung ist nicht erkennbar. Der knappe Rückzug vom Impfzwang ist sicher auch in Teilen ein Erfolg dieser kritischen Bewegung, die breite Schichten aus der Bevölkerung vereint.
Noch kein bahnbrechender Erfolg
Einen durchschlagenden Erfolg des politischen Protests und der sozialen Bewegungen hat es, so wie eben beschrieben, nicht gegeben. Bestenfalls lässt sich von punktuellen oder zeitweisen Erfolgen sprechen. Man fühlt sich in Teilen an das Zitat des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker erinnert, der hinsichtlich des Verfolgens einer politischen Agenda — gemeint ist auch die europäisch-politische Elite — sinngemäß sagte, dass man so weit wie möglich gehe, bis man auf Widerstand stoße. Dann warte man eine Zeit, bis der Widerstand verschwunden sei, und dann könne man den Weg fortsetzen. Auf der Agenda der politischen Elite finden sich eher die Interessen der Konzerne. Sie überwiegen auch den Protest.
Betrachtet man nur diesen relativ kurzen Zeitraum der letzten gut zehn Jahre, so bleibt festzuhalten, dass die sozialen Bewegungen es alleine nicht werden richten können. Der Blick weiter zurück in die Vergangenheit, in die 1960er und 1970er Jahre, offenbart noch größere, radikalere Bewegungen und viel intensivere Auseinandersetzungen, die in Teilen nicht weniger waren als Angriffe auf das kapitalistische System selbst. Das sind sehr wertvolle Erfahrungen, aus denen zu lernen ist und die betrachtet gehören. In ihrem Bemühen, den Kapitalismus zu stürzen, sind aber auch sie letztlich gescheitert.
Der erste Teil unserer Bestandsaufnahme hat gezeigt, dass es nicht an guten Ideen und Beispielen aus der Praxis für eine andere Welt mangelt, dass es aber Interessen gibt, die dagegenstehen, die die politische Durchsetzung verhindern und stattdessen eine eigene Agenda verfolgen. Auch die großen sozialen Bewegungen der letzten Jahre waren hinsichtlich des Erreichens konkreter Verbesserungen kaum erfolgreich. Im zweiten Teil werden wir unsere Bestandsaufnahme fortsetzen. Auch das wird nicht übermäßig erbaulich sein. Am Ende werden wir überlegen, was getan werden kann. Das Beste kommt eben zum Schluss.
Wir setzen unsere Bestandsaufnahme fort, weiten unseren Blick und schauen neben den sozialen Bewegungen auf die Entwicklung der politischen Linken — vornehmlich in Europa in den vergangenen zehn bis dreißig Jahren. Weil man nicht alles, was schon da ist und was gut ist, neu erfinden muss, können wir dankbar auf das aus drei Artikeln bestehende kurze Dossier in der deutschsprachigen Ausgabe der Le Monde diplomatique vom Januar diesen Jahres zurückgreifen, dass sich unter dem Titel „Europas Linke“ genau mit dieser Entwicklung beschäftigt (9).
Linke Parteien in schlechter Verfassung
Das „Trauerspiel in Rot“, aus dem genannten Dossier, könnte viel treffender nicht bezeichnet sein. Auch die internationale Entwicklung jenseits von Europa und die sozialen Bewegungen werden im Dossier kurz betrachtet. Bezogen auf Letztere ist der Befund, dem im ersten Teil zuvor schon ermittelten, gleich: Im Grunde wurde nichts erreicht. Als Beispiele werden der Arabische Frühling, Occupy und die beiden französischen Gruppen von Nuit Debout und die Gelbwesten genannt. Der Druck auf der Straße sei unerheblich, so das Fazit, wenn er nicht im politischen System ankomme.
Südamerika — das sei am Rande erwähnt — ist noch einmal eine eigene politische Hemisphäre und verdient eine gesonderte Betrachtung. Der erweiterte Hinterhof der USA steht nur in Teilen unter der Kontrolle der lange einzigen Weltmacht und entzieht sich ihrem Einfluss immer wieder. Die Ausschläge in das politisch linke und rechte Lager sind dabei deutlich ausgeprägter als in den westlichen Demokratien, wo allenfalls ein vergleichsweise moderater Wechsel zwischen politischen Richtungen stattfindet, die sich ohnehin mehr und mehr angleichen. So lautet etwa ein Vorwurf an die europäische Linke, dass ihr Niedergang auch damit zu tun habe, dass sie, als sie an der Macht war, nicht ihr eigenes, sondern das Programm ihrer Gegner umgesetzt habe. Man denke an Tony Blair, Gerhard Schröder oder François Hollande. In Südamerika oszilliert die politische Macht von Links nach Rechts ausgeprägter, wobei bisher jede Hoffnung auf eine dauerhafte Besserung immer wieder im Laufe der Zeit zerstört worden ist. Vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist man noch weit entfernt.
Das ist in Europa kaum anders, wo die politische Linke einen langen Weg des Niedergangs hinter sich hat und mit Ausnahme Frankreichs aktuell ein sehr schwaches Bild abgibt. Die griechische Syriza ist bitter gescheitert. Jeremy Corbyn ist vom Hoffnungsträger einer neuen starken linken Bewegung in Großbritannien zum fraktionslosen Mitglied des englischen Unterhauses geworden, während jenseits des Atlantiks der charismatische Senator Bernie Sanders letztlich am politischen Establishment und wiederholt am US-amerikanischen Wahlsystem gescheitert ist. Und in Deutschland kämpft die Partei Die Linke um ihr politisches Überleben.
Gekappte Verbindungen
Der Niedergang der politischen Linken in Europa und auch in den USA hat eine Entsprechung in der Entpolitisierung der untersten Klasse, die sich zu Recht nicht mehr von der herrschenden Politik vertreten fühlt, die sich entkoppelt hat vom politischen Prozess und die kaum mehr an den Wahlen teilnimmt. Es hat dabei eine gegenläufige Bewegung stattgefunden. In den 1950er und 1960er Jahren wählten die gebildeteren und höheren Schichten noch weitestgehend rechts, während die Menschen aus der Arbeiterklasse, die, bevor die große Deindustrialisierung einsetzte, auch noch als solche bezeichnet werden konnte, linke Parteien wählten. Sechzig Jahre später sieht die Lage ganz anders aus. Linke oder sozialdemokratische Parteien werden eher von den höher Qualifizierten und den Menschen in den urbanen Zentren gewählt, während die ländliche Bevölkerung und die unteren Schichten — so sie denn wählen gehen — rechts wählen.
Die Verbindungen, die zwischen der Arbeiterklasse und einer gebildeten Mittelschicht mal bestanden haben und die die Basis für eine starke politische Linke bildeten, gibt es nicht mehr. Damit einhergehend hat bei den Mitgliedern der großen, alteingesessenen Parteien ein Exodus eingesetzt. Die Mitgliederzahlen sind stark zurückgegangen und Menschen aus den unteren Schichten sind kaum mehr präsent. Übrig geblieben sind bürgerliche Hochschulabsolventen und Rentner. Noch fragmentierter wird die Wählerschaft durch eine „Mauer der Werte“ (10), die sich im kulturellen Bereich und bei Fragen der Identität und Zugehörigkeit gebildet hat. Diese Differenzen, die man unter anderem an Themen wie der Zuwanderung, der Religion, dem Recht auf Abtreibung, der Geschlechtergerechtigkeit oder der Genderpolitik festmachen kann, spalten die Gesellschaft, so dass auch Teile, die in vielen wesentlichen Bereichen übereinstimmen, etwa in ihrer Systemkritik, kaum zueinander finden können.
Bei den untersten Schichten haben die etablierten Parteien das Vertrauen verloren. Für Wahlerfolge muss man auf die Wünsche und Forderungen dieser Menschen nicht mal mehr eingehen. Zu einer zusätzlichen Politikverdrossenheit, über alle gesellschaftlichen Gruppen hinweg, tragen die Systemzwänge bei — die einen prominenten Ausdruck darin finden, dass den Politikern oft „die Hände gebunden sind“. Die Aufhebung der Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte, was 90 Prozent der Franzosen befürworten? Unmöglich. Das verstößt gegen europäische Vorschriften.
Mut zu einer neuen Radikalität
Der Schlussfolgerung, dass die Linke „den Mut für eine neue Radikalität aufbringen“ muss, ist unbedingt zuzustimmen und kann mit Blick auf die Entwicklung der politischen Parteien nur unterstrichen werden. Das immer wiederkehrende politische Appeasement, die Anpassung an das System, an die Zwänge, das Glattreiben und am Ende „die Regierungsfähigkeit“ führen in die Bedeutungslosigkeit. „Regierungsfähige Parteien“ gibt es schon mehr als genug. Radikal darf in diesem Sinne auch gerne als ausgesprochene Systemgegnerschaft verstanden werden.
Doch auch hier sei vorweggenommen, dass es sich mit Blick auf den Systemwechsel „nur“ um politische Parteien und den politisch etablierten Prozess handelt. Denn gerade die Geschichte — zuletzt das „Trauerspiel in Rot“ — zeigt, dass uns auch dieser Weg bisher nicht zum Ziel und zu einer anderen Gesellschaft geführt hat. So vielversprechend die Ansätze und der Beginn auch immer wieder gewesen sein mögen, am Ende ist nicht viel übrig geblieben. Damit soll an dieser Stelle nichts anderes gesagt sein, als dass die Politik im Parlament im besten Fall nur einer von mehreren Bausteinen sein kann, wenn es um grundlegende Änderungen und vielleicht sogar um einen Systemwechsel geht. Wie genau ein solcher Baustein beschaffen sein könnte, um einen konstruktiven Beitrag zu leisten, soll später überlegt werden.
Das Beispiel Podemos
Podemos ist so gestartet: radikal und vielversprechend. Aus den sozialen Bewegungen heraus und in anhaltender Verbindung zu diesen, als Vereinigung von verschiedenen, wenn auch am ehesten linken, politischen Strömungen, wollte man politisch wirksam werden, die Macht übernehmen, um mit dem Bestehenden zu brechen. Die junge Partei scheint dabei vieles zunächst richtig gemacht zu haben, indem sie einerseits Lehren aus vergangenen Niederlagen linker Parteien ziehen wollte und für erfolgreiche Modelle den Blick auf Südamerika richtete. Podemos setzte auf unabhängige Medien und auf ihren Vorsitzenden Pablo Iglesias als charismatische und medial präsente Identitätsfigur. Auch der Ansatz das klassische linke Lager zu verlassen, um für mehr Menschen attraktiv zu sein, war sicher gut gedacht. Die gleichzeitige Polarisierung zwischen einer korrupten Kaste einerseits und der Masse der Menschen anderseits war darüber hinaus ein effektiver, wenngleich populistischer Schachzug, der aber auf einfache Art und Weise für Zustimmung sorgen konnte.
Dann aber scheiterte auch Podemos. Für dieses Scheitern können eine Reihe von Gründen ausgemacht werden. Im Vordergrund standen schnelle politische Wahlerfolge, die auf Kosten der Einbindung der ansonsten aktiven politischen Basis gingen und die letztlich an dieser Stelle zum Bruch führten. Ein weiterer Punkt und eine Herausforderung, vor der jede auch noch so radikale Partei irgendwann steht, wenn sie politische Macht übernehmen will, sind die nötigen Kompromisse, die Zwänge des bestehenden Systems und die herrschende Ordnung gerade auch auf der lokalen Ebene. Dort gibt es wenig finanziellen Spielraum, insgesamt nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten und eine etablierte und tendenziell wenig veränderungsbereite Verwaltung. Dazu kommen gewachsene Machtstrukturen und Netzwerke. Wer dort mitregieren will, der muss sich anpassen.
Die Anpassung der Partei an mehrheitsfähige Positionen vollzog sich nicht nur auf der lokalen Ebene relativ schnell. Der Reflex möglichst nichts Falsches zu sagen und zu fordern, um niemanden zu verlieren und möglichst viele zu gewinnen, ließ die weitreichendsten und radikalsten Forderungen, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, eine Volksabstimmung über die Monarchie oder einen Aufschub bei der Tilgung der Staatsschulden, langsam verschwinden. Dazu kamen weitere Faktoren, die die Partei unter Druck setzen und die sie einiges an Zuspruch kostete. So begannen die etablierten Medien irgendwann das Feuer zu eröffnen und mit der liberalen Partei Ciudadanos trat eine neue politische Kraft hervor, die sich ebenfalls als eine Alternative zum politischen Establishment anbot, auch wenn sie aus einer ganz anderen Richtung als das emanzipatorische Podemos kam.
Im Jahr 2016, beim Kampf um politische Mehrheiten und eine möglichst hohe Zustimmung bei den Wahlen, positionierte sich Podemos mit dem Bündnis mit der Vereinigten Linken im linken politischen Spektrum, um sich gleichzeitig als sozialdemokratisch zu klassifizieren und mehr in die Mitte zu rücken. Wahlerfolge konnte die Partei damit nicht erzielen. Mittlerweile hat sich Podemos aufgerieben. Wichtige Bündnispartner und prominente Führungsfiguren haben die Partei verlassen.
Die Bewegung hinterlässt Spuren
Es ließe sich nun von neuem analysieren, warum auch dieser Anlauf einer progressiven politischen Partei gescheitert ist. Was auch immer die genauen Ursachen sind, fest steht, dass der Weg durch die Parlamente kein einfacher ist, sondern dass er im Gegenteil fast immer dazu zu führen scheint, dass einst radikale und linke Parteien im Laufe der Zeit durch das System entweder geglättet oder bis zur Unkenntlichkeit verformt werden oder sich in der Bedeutungslosigkeit verlieren und von der politischen Bühne wieder verschwinden. Bisher hat das System noch jede solche Partei auf die eine oder andere Weise geschluckt.
Genau dieser Punkt gehört mit in die Überlegungen hinein, wenn es darum geht, welche Rolle Parteien und der Parlamentarismus beim Weg in eine andere Welt spielen können. Schwer vorstellbar ist jedenfalls, dass da eine Partei antritt, die sagt, dass sie den Staat, so wie er existiert nicht bestehen lassen will, dass sie das Eigentum neu aufteilen will und dass auch der demokratische Prozess mal auf den Prüfstand gehört. Da sind schon andere für viel weniger als „Terroristen“ bezeichnet worden — und an der Stelle hat der Spaß dann schon lange aufgehört.
Ein vorläufiges Fazit kann nach dem bisher Betrachteten nicht so wirklich positiv ausfallen. Zwar gibt es viele gute Ideen, es fehlt aber an einem Plan zu ihrer Durchsetzung und an einer guten und befriedigenden Antwort, die aufzeigt, wie der Weg zu einer anderen Welt ausschauen kann. Die jüngeren sozialen Bewegungen waren nicht von Erfolg gekrönt und die Politik in den Parlamenten folgen wie die großen Medien irgendwie einer anderen Regie und einer anderen Agenda. Gleichwohl sollte das Fazit auch nicht zu einseitig ausfallen. Neben den Zielen, die dann doch zum Teil erreicht werden, bildet sich bei den Beteiligten auch immer — mehr oder weniger — ein politisches Bewusstsein, das als Basis für ein weiteres Engagement dienen kann.
Chomsky verweist in diesem Zusammenhang gerne auf den Protest gegen den Vietnamkrieg. Die USA könnten es sich nun nicht mehr leisten, nach Belieben mit ihrem Militär in andere Länder einzufallen. Sie müssten andere Wege der Intervention wählen. Ob das wirklich besser ist, ist noch eine andere Frage. Sicher aber ist, dass dadurch nicht Hunderttausende oder noch mehr Menschen einer direkten militärischen Konfrontation zum Opfer fallen. Auch die über Jahrzehnte anhaltende Umweltbewegung hat das Bewusstsein für diese Problematik geschärft und ihren Teil dazu beigetragen, dass beispielsweise Deutschland den Weg zu alternativen Energien eingeschlagen, Atomkraftwerke abgeschaltet und den Ausstieg aus der Kohle beschlossen hat.
Es sind nicht nur die Erfahrungen aus sozialen Bewegungen und dem politischen Engagement, welche für die Teilnehmer zu einer persönlichen Erfahrung werden, sondern es ist vor allem die Geschichte selbst, die für uns alle lehrreich ist — und hier ist nicht nur an die Geschichte sozialer Bewegungen gedacht. Am meisten lernt man bekanntlich aus Erfahrung. Zuvorderst sind das gewiss die persönlichen Erfahrungen, aber auch die Erkenntnisse, die wir aus dem erhalten können, was andere erfahren haben, haben einen unschätzbaren Wert. Diese Erkenntnis, also das Lernen aus der Geschichte, ist eigentlich so banal und simpel, dass es fast keiner Erwähnung wert wäre, wenn es nicht allzu oft so erscheinen würde als würden die Lehren der Vergangenheit viel zu wenig beachtet.
Noch keine kritische Masse
Das gewachsene politische Bewusstsein, bei den Menschen, die sich engagieren, genügt aber nicht für eine kritische Masse. Und mehr noch, muss es jedes mal, das heißt in jeder Generation aufs Neue hergestellt werden. Bei der Elite, sagt man, sei das anders. Sie lerne aus der Vergangenheit und könne daher ihre Reaktion stetig verbessern. In Gänze kann das kaum stimmen, denn sonst wäre die Welt nicht, wie sie ist und würden sich die Eliten oft augenscheinlich so ungeschickt anstellen. Vielleicht gilt das auch nur für den Widerstand gegen den Widerstand und vielleicht bleiben deshalb die Erfolge der sozialen Bewegungen aus?
Hinzu kommt, dass eine mögliche kritische Masse in ihrer Größe gar nicht genau bestimmbar ist. Es scheint manchmal einfach egal, wenn Millionen Menschen auf der Straße demonstrieren oder wenn eine, vielleicht sogar deutliche Mehrheit, gegen bestimmte politische Entscheidungen ist. Zur Bestandsaufnahme und zu den anschließenden Überlegungen, was man tun kann, gehört auch zu fragen, warum sich keine kritische Masse bildet und darüber hinaus, was passiert, wenn sie sich doch bildet. Mit dem letztgenannten Punkt sind mögliche Widerstände von Interessengegnern gemeint.
Es ist die Bewusstseinsbildung, mit der es beginnt. Man kann das auch Aufklärung nennen. Und die gibt es nicht, jedenfalls nicht als Massenware. Aufklärung ist ein Glücksfall und ein Zufallstreffer. Es kann sie auch gar nicht geben. Henry Ford meinte, dass es gut sei, dass die breite Masse keine Ahnung vom Finanzsystem habe, da andernfalls noch vor dem nächsten Morgen eine Revolution ausbrechen werde. Nicht anders ist das mit dem System Kapitalismus. Es ist darauf angewiesen, dass keine Aufklärung darüber stattfindet und dass die breite Masse nicht versteht, wie es funktioniert — sich jedenfalls nicht kritisch damit auseinandersetzt und schon gar keine Alternativen angeboten bekommt.
Die Rolle der großen Medien ist es gerade nicht, eine solche Aufklärung zu leisten, sondern im Gegenteil nehmen die Medien eine Wächterfunktion (11) in umgekehrter Richtung ein, die sie zu einer tragenden Säule des gesamten Systems machen. Weil es Wahlen gibt und weil sie nichts ändern sollen, muss in der Öffentlichkeit ein Konsens hergestellt werden, bei dem entscheidende Fragen erst gar nicht gestellt werden. Ein enges Spektrum von Betrachtungen, Sichtweisen und Meinungen, das fehlende Aufzeigen von Zusammenhängen und die nicht vorhandene Aufklärung der Menschen zu mündigen und selbstbestimmten Wesen, macht uns zu „den Lämmern, die schweigen“ und zu der „verwirrten Herde“, die so nicht zu einer kritischen Masse werden kann. Verbunden mit der Unmöglichkeit sich wirksam politisch zu organisieren, führt die meinungsmachende Kontrolle der Bevölkerung zu einer apolitischen und teilnahmslosen Masse.
Vor dem Hintergrund der politischen Meinungshoheit, die durch die Massenmedien vermittelt wird, und der Aufklärung als Ausgangspunkt einer kritischen Bewegung, ist die Rolle alternativer medialer Angebote alles andere als gering zu schätzen. Die Zunahme alternativer Medien in ihrer Vielfalt und in ihrer Reichweite sind eine sehr positive und wertvolle Entwicklung, die dazu geführt hat, dass herrschende Narrative in Frage gestellt werden. Die etablierten Medien selbst geraten dadurch zusätzlich in das Zentrum der Kritik. Die Auseinandersetzung ist hart. Faktenchecker auf beiden Seiten sollen die Gegenseite jeweils diskreditieren und die eigene Position stärken.
Die Sichtweisen zu verschiedenen politischen Themen sind dabei nicht selten äußert konträr und kaum miteinander vereinbar. Die Popularität alternativer medialer Angebote hat wesentlich mit dazu beigetragen, dass die Kritik wahrnehmbarer wurde. Die fast schon disjunkte Faktenlage — konkret und aktuell in Sachen Corona und in Sachen Ukraine — verhärtet die Auseinandersetzung nicht nur in der digitalen Sphäre. Das Vordringen alternativer medialer Angebote genügt aber noch lange nicht, um das Gewicht gegenüber dem medialen Mainstream, ausschlaggebend zu verändern. Die Kräfteverhältnisse sind hier weiterhin recht eindeutig. Man täusche sich aber nicht darüber: Je größer der Einfluss alternativer Medien, desto größer werden auch die Widerstände werden und der Kampf kann noch mit ganz anderen Bandagen geführt werden.
Neue alte Ordnungen nach 1945
Bevor wir zum konstruktiven Teil übergehen und mit dem „Pläne schmieden“ beginnen, fehlt uns für eine Bestandsaufnahme der Blick auf die Widerstände gegen den Widerstand. Diese Betrachtung ist gleichsam der Übergang zum konstruktiven Teil, der unvollständig und alleine wenig Wert wäre, wenn nicht auch mögliche Widerstände ein Teil der Überlegungen sind. Die Durchsetzung von Interessen und das Bekämpfen von Widerständen sind Teil des selben Prozesses und können von jeder Seite aus — von den Bewahrern des Bestehenden und den opponierenden Kräften — aus betrachtet werden. Aus systemkritscher Sicher umfasst die „Klaviatur der Widerstände“ das gesamte denkbare Spektrum.
Die politische Neuordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein gutes Beispiel für die Durchsetzung von Interessen und die Bekämpfung von Widerständen. Es ist außerdem wesentlich für das Verständnis der heutigen politischen Ordnung auf globaler Ebene. Mit dem Ende des zweiten großen Krieges im 20. Jahrhundert lagen Europa und Russland in Trümmern. Der alte Kontinent war buchstäblich zerstört. In asiatischen Raum musste Japan bedingungslos kapitulieren, während sich auf dem Festland der chinesische Bürgerkrieg fortsetzte und wenig später in Korea, in den Nachwehen des Zweiten Weltkriegs und der Systemauseinandersetzung zwischen Ost und West, ein neuer Konflikt militärisch eskalierte.
Der Zweite Weltkrieg führte zu einer Vorherrschaft der USA im politischen Westen, die dem, von ihr mehr oder weniger kontrollierten Teil der Welt, ihren Stempel aufdrücken konnte. Angeführt und beherrscht vom militärisch-industriellen Komplex und gedanklich — sowie teilweise real — in der kriegerischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion befindlich, unterdrückten die USA jedwede Bestrebung autonomer staatlicher Entwicklungen, die ihren Interessen widersprachen. Linke Strömungen, Parteien und eine sich emanzipierende Arbeiterschaft wurden überall und mit allen Mitteln bekämpft. Stattdessen suchte man Stabilität und Kontinuität und setzte auf konservative und auf reaktionäre Kräfte.
In Italien waren die Kommunisten während des Zweiten Weltkriegs führend im Widerstand gegen den Faschismus gewesen. Sie waren auch unmittelbar nach dem Krieg und bis ihn die 1970er Jahre hinein eine starke politische Kraft, die fortlaufend bekämpft und deren Machtübernahme verhindert worden ist. Der US-Präsident, das US-Außenministerium, das US-Justizministerium, höchste Richter und Staatsanwälte und die Voice of America agierten im Rahmen einer massiven Kampagne um den Wahlsieg der kommunistischen Partei im Jahr 1948 zu verhindern. Mit der Drohung jede wirtschaftliche Hilfe aus dem Marshallplan einzustellen, mit Bestechungen, Erpressungen, Einschüchterungen und einer massiven Unterstützung der konservativen Christdemokraten und mit Millionen von Dollar griffen die USA in den Wahlkampf ein. Die CIA zog mit verdeckten politischen Operationen, Propaganda und paramilitärischen Operationen im Hintergrund die Fäden (12).
In Korea kam es nach der Befreiung von der japanischen Besatzungsmacht zu einer Aufteilung des Landes durch die Siegermächte. Der südkoreanische Landesteil blieb bis 1948 durch US-Militär besetzt und kontrolliert. Aus der Bevölkerung heraus hatte sich unmittelbar nach dem Abzug der Japaner eine Regierungsstruktur gebildet. Ihr Hauptquartier lag in Seoul, während weit verteilte „Bevölkerungskomitees“ im ländlichen Raum das Fundament und den Rückhalt der Regierung bildeten. Am 6. September 1945 wurde die Volksrepublik Korea ausgerufen. Die USA standen dieser selbstverwalteten Struktur feindlich gegenüber. Sie wurde gewaltsam zerschlagen. Dazu reaktivierten die USA alte koloniale Machtstrukturen und den Polizeiapparat aus der japanischen Besatzungszeit. In dem wenig beachteten Konflikt, der einen Teil der Vorgeschichte zum 1950 ausgebrochenen Koreakrieg bildet, starben zwischen 1945 und 1950 mehrere 10.000 — wahrscheinlich sogar mehr als 100.000 — Menschen.
Ähnliche Bemühungen, eine gewünschte politische Ausrichtung zu erhalten, fanden auch in anderen Ländern statt, so etwa in Frankreich, Deutschland oder Japan. Noam Chomsky fasst es so zusammen: „Das geschah nicht nur in Ländern wie Italien, Frankreich und Griechenland, sondern auch in Korea und Thailand. Das erste Kapitel der Nachkriegsgeschichte handelt davon, wie wir die italienischen, französischen und japanischen Gewerkschaften in die Knie zwangen und die sehr reale Drohung einer bevölkerungsnahen Demokratie, deren Idee nach 1945 weltweit verbreitet war, beseitigten.
Zur Verteidigung des „American Way“
Die nachhaltigste und umfangreichste Kampagne, um den „Amerikanischen Weg“ in die Köpfe der Menschen zu bekommen und um die freie Marktwirtschaft zu propagieren, fand aber an der Heimatfront statt, denn der gefährlichste Feind sitzt immer im Inneren. Beginnend in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre bis zum Anfang der 1950er Jahre führte die National Association of Manufacturers (N.A.M.), der Spitzenverband der US-Industrie, eine beispiellose Propagandaoffensive durch. Die Botschaften wurden multimedial verbreitet, über wöchentliche Radioprogramme, Filme und Lehrfilme, direkte Werbung oder Briefsendungen, Ausstellungen für Schulen und Firmen und einen industriellen Presseservice, der kurze Nachrichten für hunderte von kleineren Zeitungen zur Verfügung stellte. Die Informationsvermittlung war dabei weder transparent geschweige denn objektiv.
In den 1940er Jahren weitete die N.A.M ihre Bemühungen aus und zielte auf die Beeinflussung von Bildungseinrichtungen und religiösen Institutionen. Es ging auch darum mehr in die lokalen Kommunen einzutauchen, um dort die Botschaft des freien Unternehmertums zu verbreiten. In einem Editorial aus dem Fortune Magazin vom Mai 1949 ist zu lesen, dass fast die Hälfte des Inhalts der besten Zeitungen aus den Pressetexten und Veröffentlichungen von Unternehmen abgeleitet ist. Fast der gesamte Inhalt der kleineren Zeitungen, sowie hunderte von spezialisierten Zeitschriften seien zudem direkt oder indirekt das Werk der PR-Abteilungen aus den Unternehmen.
In den 1950er Jahren wandte sich die N.A.M. dem Fernsehen zu. Schon 1951 erreichten die von der Geschäftswelt gesponserten Filme ein wöchentliches Publikum von 20 Millionen Menschen. Zu dieser Zeit hatten die USA gut 150 Millionen Einwohner. Die Vermittlung der richtigen ökonomischen Sichtweise kam einer Bildungsoffensive gleich, die sich nicht zuletzt in den Unternehmen selbst abspielte, die aber auch die klassischen Bildungseinrichtungen wie die Schulen und die Universitäten umfasste. Viele der großen Unternehmen, wie bspw. General Motors, Sears Roebuck und U.S. Steel, entwickelten eigene Bildungsprogramme, produzierten Heftchen oder Filme und veranstalten Vorführungen und Diskussionsrunden während der Arbeitszeit.
Millionen von Angestellten wurden auf diese Weise im Laufe der Zeit ökonomisch im richtigen Geiste erzogen. Die Geschichte des N.A.M. und seiner gewaltigen PR-Kampagne zur Verteidigung des bestehenden Systems kann hier nicht gebührend dargestellt werden. Die ideologische Verteidigung und Verbreitung der eigenen Sichtweise endet auch nicht an dieser Stelle. Die Bedrohung der globalen sozialen Erhebungen der 1960er Jahre bedurften einer neuerlichen Anstrengung der Geschäftswelt und einer Kampagne, die nach Ansicht des Fortune Magazines eine Studie in Gigantismus war, die die Medien durchdrang und praktisch jeden im Land erreichte.
Staatlicher Terror
Die Zeit der 1960er und 1970er Jahre ist auch eine, die von einer intensiven und teilweise gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen den sozialen Bewegungen, den linken Strömungen und Gruppen einerseits und den staatlichen Strukturen und einem bürgerlichen Milieu auf der anderen Seite geprägt ist. Die staatlichen Methoden sind dabei durchdringend und offenbaren gut, dass die Klaviatur sehr weitgehend bespielt wird, sofern es nötig erscheint. Dabei wird auch der legale Rahmen verlassen und mitunter nicht einmal vor terroristischen Aktionen zurückgeschreckt. Ein Beispiel ist das Counterintelligence Program — kurz Cointelpro. Es startete schon zu Kriegszeiten, wurde unter Kennedy forciert und erreichte in der Zeit der Revolten in den späten 1960er Jahren und Anfang der 1970er Jahre einen Höhepunkt.
An dieser Stelle fügt sich eine Rezension von Prof. em. Dr. habil. Hans-Ernst Schiller zu Erik Olin Wrights Buch „Reale Utopien“ passend ein (14), denn obwohl Schiller sich im Wesentlichen strategisch äußert — wir greifen dem Plan ein wenig vor — verdeutlicht er, dass man bei einer Transformationsstrategie die Widerstände und namentlich die Gewaltmittel mächtiger Akteure nicht unberücksichtigt lassen darf. Der im Jahr 2019 verstorbene Wright war Professor für Soziologie. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit lag in der Beschäftigung mit Utopien. Im Jahr 1991 startete er mit seinem „The Real Utopias Project“, in dessen Rahmen sieben Bücher veröffentlicht wurden, von denen „Reale Utopien“ den Abschluss bildete. Im Vorwort der deutschen Ausgabe ist ein wesentlicher Gedanke Wrights festgehalten, der meinte, dass der Kapitalismus nicht durch Reformen von oben zu zähmen sei und auch nicht durch einen revolutionären Bruch zerschlagen werden sollte. Stattdessen solle er dadurch erodiert werden, dass in den Räumen und Rissen innerhalb kapitalistischer Wirtschaften emanzipatorische Alternativen aufgebaut und zugleich um die Verteidigung und Ausweitung dieser Räume gekämpft wird.“
Schiller meint in seiner Rezension, dass es abwegig sei, davon auszugehen, dass es eine friedvolle Koexistenz verschiedener Produktionsweisen geben könne und man bezweifeln könne, dass die Ausnutzung von Freiräumen überhaupt so etwas wie eine Transformationsstrategie sein könne. Schiller verweist darauf, dass Wright selbst sagt, dass „eine nennenswerte Entwicklung hin zu realer gesellschaftlicher Ermächtigung die Interessen mächtiger Akteure bedroht, die am stärksten von kapitalistischen Strukturen profitieren und dass diese ihre Macht einsetzen können, um solche Entwicklungen zu bekämpfen.“ Schiller ergänzt, dass „es keinen Sozialismus geben kann, ohne dass die Macht des großen Geldes gebrochen wird, die nicht zuletzt in der Verfügung über Massenmedien und Gewaltmittel besteht. Wer aber will einen Kampf auf Leben und Tod riskieren? Die Bewahrer von Klassenverhältnissen kennen nicht den Abscheu vor Gewalt, den eine intellektuelle Tätigkeit in der Regel mit sich bringt.
Gewaltlosigkeit als Teil der Antwort
Genau dieser Punkt, also die Widerstände, die hervorgerufen werden, wenn alternative Formen von Ökonomie, Gesellschaft und Leben anfangen sich auszudehnen und aus den Rissen und Nischen immer größere Brüche und Schneisen werden, die vielleicht sogar auf einen Bruch hinauslaufen, darf nicht unberücksichtigt bleiben. Wrights Standpunkt ist sicher überzeugend. Reformen von oben werden den Kapitalismus nicht beseitigen. Eine Revolution als unmittelbarer Bruch birgt die Gefahr größter Verwüstungen und eines ungewissen Neubeginns, der sich schnell als noch schlechtere Alternative entpuppen könnte. Die Transformation alleine durch die Keimzellen des Neuen scheint aber, ganz wie Schiller meint, zu wenig, wenn es nur dabei bleibt und der vollständige Systemwandel nicht von Beginn an mitgedacht wird. Selbst wenn es verheißungsvoll klingt, genügte es dann nicht, die Nischen und Risse zu besetzten und sich von dort aus auszudehnen. Auch dies kann nur einer von mehreren Bausteinen sein.
Die möglichen Widerstände und Widrigkeiten, die einem bei der Überwindung der kapitalistischen Ordnung hin zu einem anderen System begegnen, werfen die lange bereits diskutierten Fragen nach dem Weg auf. Reform oder Revolution? Gewalt oder keine Gewalt? Eine Transformation durch Reformen wird nicht gelingen. Wenn man die Revolution als punktuellen Umbruch begreift, der das eine System durch das andere ersetzt, dann liegt auch diese Variante — gerade bei fundamentalen Änderungen, wie etwa die Einführung einer herrschaftsfreien Gesellschaft — jenseits der Vorstellungskraft. Damit bliebe nur ein langsamer Transformationsprozess.
Die Frage nach der Anwendung von Gewalt ist vielleicht nicht schön, sie stellt sich aber zwangsläufig und kann nicht ausgeblendet werden, wenn sie nicht spontan und individuell beantwortet werden soll. Indiens Befreiung von der kolonialen Herrschaft des britischen Empires erscheint als ein gangbarer Weg und vielleicht ist die Gewaltlosigkeit auch die einzige Art und Weise, wie man überhaupt von einem System wie dem Kapitalismus, der durchaus schöpferische Kräfte besitzt, dessen Zerstörungskraft aber um ein Vielfaches überwiegt, zu einer gerechten und friedlichen Welt kommen kann. Der Vergleich mit der Befreiung von der Kolonialherrschaft ist nicht ganz zulässig, denn wir haben es nicht mit einer fremden Besatzungsmacht einerseits und einer unterdrückten Bevölkerung anderseits zu tun. Mehr noch sind die menschlichen Verhältnisse und die Verfasstheit der Staaten in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts vielfältig, die Freiräume für die Menschen und das restriktive, teils repressive Agieren von staatlicher Seite ganz unterschiedlich. Und doch ist das indische Beispiel anschaulich.
Die Gewaltlosigkeit ist in mehrfacher Hinsicht überzeugend. Zunächst einmal scheint es naheliegend den Weg in genau der gleichen Weise zu gestalten, wie die zukünftige und angestrebte Gesellschaft gedacht wird. Die umgekehrte Vorstellung passt schlecht. Den gewaltsamen Weg zu wählen, um dann die Waffen nieder zu legen und eine friedliche Welt auszurufen, passt nicht zusammen und ist auch nur schwer vorstellbar. In der Form eines revolutionären Bruchs gedacht, wird es ganz undenkbar, denn wer sollte sich — nach dem gewaltsam errungen Sieg und mit allen Machtmitteln in der Hand — hinstellen und sagen, von nun an machen wir alles anders. Meine Macht gebe ich ab und niemand soll mehr Macht haben und die Welt von nun an friedlich sein. Wer die Anarchie wohlwollend betrachtet oder gar befürwortet, der sollte tunlichst nicht die Wörter Chaos und Anarchie in einem Atemzug nennen, um nicht ein herrschendes und gleichzeitig falsches Narrativ zu bedienen. Wer aber die Transformation als gewaltsam-revolutionären Bruch denkt, um anschließend eine anarchistische Gesellschaft auszurufen, der schafft das Chaos.
Nichtkooperation als passiver Widerstand
Ein weiterer Gedanke ist ganz pragmatischer Natur. Wenn es hart auf hart kommt, so hat die staatliche Seite alle physischen Gewaltmittel — im Grunde ein fast unerschöpfliches und sehr weitreichendes Arsenal — in der Hand: die Techniken zur Überwachung, die Waffen, die Soldaten und andere bewaffnete Einheiten. Kriege wurden in der Vergangenheit oft durch eine überlegene Technologie gewonnen. Je größer der Vorsprung in der Waffentechnik, desto ungleicher wurden die Kräfteverhältnisse. Die Gewaltmittel des Staates haben ein Ausmaß erreicht und sind so umfangreich, dass ein gewaltsamer Widerstand, um die Macht im Staat zu übernehmen, alleine schon aus diesem Grund, so es denn noch einen weiteren Grund für die Vermeidung von Gewalt bräuchte, nur Kopfschütteln auslösen kann.
Beim Weg in eine andere Welt und um den Kapitalismus zu überwinden, ist die Gewaltlosigkeit das Mittel der Wahl. Sie überzeugt durch einen weiteren Grund, der dem indischen Beispiel entnommen werden kann. Es ist der Gedanke, dass ein ungerechtes und unterdrückerisches Regime, bei dem nur eine Minderheit wirklich profitiert, während eine übergroße Mehrheit ein ganz anderes System wünscht, nur dann aufrecht erhalten werden kann, wenn diejenigen, die unterdrückt werden, kooperieren. Der Gedanke ist simpel und wird mit dem indischen Beispiel vor Augen leicht einsichtig. Wenn niemand die auferlegte Arbeit ausführt und sich keine Menschen finden, die sich durch Überwachung oder Unterdrückung der Anderen am System beteiligen, dann kann das Regime nicht aufrecht erhalten werden. Es ist anderseits keine Frage, dass das, was so einfach klingt, in der Umsetzung eine mehr als große Herausforderung ist.
Der zweite Teil unserer Bestandsaufnahme kommt einem Parforceritt gleich. Wir haben ausschnittartig auf die Entwicklung der linken Parteien in Europa in den letzten Jahrzehnten geschaut, um anschließend erneut auf die sozialen Bewegungen und ihre Wirksamkeit zurückzukommen. Die Bewusstseinsbildung bis hin zur kritischen Masse haben wir den systemseitigen Widerständen gegenübergestellt. Dafür haben wir erneut einen Blick in die Historie geworfen. Dort konnten wir auch die Gewaltlosigkeit entdecken, die als einer der ersten Bausteine Teil einer Strategie auf dem Weg in eine andere Welt sein kann. Wie ein solcher Weg genauer noch beschaffen sein könnte, soll im letzten Teil überlegt werden.
Die andere Seite der Insel
Zu Beginn geht es wieder auf Zeitreise. Es ist Mai 2012, als die Frankfurter Innenstadt und das Bankenviertel für ein verlängertes Wochenende komplett lahmgelegt werden. Das Bündnis Blockupy hatte ein Wochenende des Protests organisiert, um gegen das außer Kontrolle geratene Finanzsystem auf die Straße zu gehen. Ein Camp, Aktionen des zivilen Ungehorsams, Blockaden, Veranstaltungen und eine abschließende große Demonstration am Sonntag zogen insgesamt mehrere Zehntausend Menschen an. Einer, der zu einem der bekanntesten Protagonisten der im Vorjahr gestarteten globalen sozialen Bewegung geworden war, war dafür eigens nach Frankfurt angereist: Der US-amerikanische Anthropologe, Autor, Anarchist und Aktivist David Graeber war gekommen, um an den Protesten teilzuhaben und mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten. In einem großen, luftigen Raum auf dem Campus Bockenheim der Frankfurter Universität hatte Graeber zu einem Vortrag und einer Diskussion eingeladen.
Graeber startete seine Rede mit einem kurzen und anschaulichen Vergleich. Er bat die Anwesenden, sich eine Insel vorzustellen, die in der Mitte geteilt sei. Auf der einen Seite existiere eine kapitalistische Grundordnung. Manche Leute verfügten über Besitz, andere nicht. Nichts erhielte man dort ohne Vertrag, soziale Garantien gäbe es keine. Auf der anderen Seite herrsche ein anarchistisches Kollektiv, in welchem die Grundbedürfnisse aller Bewohner garantiert seien. Graeber lächelt verschmitzt, als er sich mit einer Frage an seine Zuhörer wendet: „Aus welchem Grund sollten die Menschen, die nichts besitzen, auf der kapitalistischen Seite der Insel bleiben wollen?“ Für David Graeber, der im Jahr 2020 leider viel zu früh verstorben ist, stellten sich die Dinge oft recht einfach da. In wenigen Sätzen konnte er nicht nur bei dieser Gelegenheit mit einfachen Bildern überzeugen und vermeintlich komplizierte Dinge auf ihren wesentlichen Kern reduzieren. Durch seinen Vater, der am spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Anarchisten teilgenommen hatte, kam er schon früh mit dem Anarchismus in Berührung.
Die Welt ist keine zweigeteilte Insel, und ganz so einfach, wie Graeber es schildert, ist es dann natürlich doch nicht. Die andere Hälfte gibt es nicht. Wenn diese aber so verlockend ist, dann ist die Frage, ob sich nicht so eine Hälfte erschaffen lässt und auf welchem Weg das gelingen kann. Oder anders gefragt, ob sich nicht die gesamte Insel in eine gerechte und lebenswerte Welt transformieren lässt.
Jede lange Reise beginnt mit einem Ziel
Vom Kapitalismus oder, mit anderen Worten, von der freien Marktwirtschaft und von der Demokratie ist eine Vorstellung vorhanden. Selbstverständlich, muss man sagen, denn schließlich ist es das System, welches bereits existiert. Es gibt dabei verschiedene Ansichten von diesem in weiten Teilen der Welt vorherrschenden System, die mit Mythen umrankt oft im Widerspruch zueinander stehen. Im Detail ist dann doch vieles nicht so ganz klar, aber ob und wie es verstanden wird, spielt letzten Endes gar keine Rolle, denn offensichtlich funktioniert es ja — irgendwie zumindest.
Wovon keine Vorstellung existiert, ist, wie es grundsätzlich anders funktionieren könnte. Es gibt keine weit verbreitete Idee, wie man eine Gesellschaft, wie man Politik und wie man Ökonomie — zumal auf einer globalen Ebene — ganz anders, nicht kapitalistisch, sondern friedlich, gerecht und mit einer Teilhabe von allen organisieren könnte. Wie aber soll man Millionen von Menschen davon überzeugen, sich auf den Weg zu machen, wenn gar nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll? Schlimmer noch muss man dann ja befürchten, dass man überhaupt nirgendwo ankommt und ins Leere läuft. Es mag schon noch gelingen, viele Menschen davon zu überzeugen, dass das Hier und Jetzt nicht so ganz das Wahre ist. Wenn aber so gar keine Vorstellung davon vorhanden ist, wie es auf der anderen Seite der Insel ausschauen könnte, dann will sich die Reisegesellschaft nicht so recht bilden. Und so ganz klein darf diese Gruppe nicht sein, wenn das was werden soll.
Die vagen Ideen vom Sozialismus und von der kommunistischen Gesellschaft haben einmal genügt, um massenweise Menschen zu mobilisieren. Die anschließenden Versuche, eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen, sind jedoch gescheitert, und es ist mehr als fraglich, ob ein neuer Anlauf, der nur viel verspricht, aber wenig klärt, eine neue Attraktivität entfalten kann. Ohnehin hat sich der gewählte Weg mithilfe von Partei und Staat als Irrweg erwiesen, der sicher nicht zur Wiederholung einlädt. Es wird anders gehen müssen.
Eine utopische Welt
Bei der Ausbreitung des folgenden Gedanken wird es persönlich. Nach einer längeren Beschäftigungsphase mit dem Kapitalismus, mit der Ökonomie, mit der politischen Ordnung und mit verbundenen Fragen wie der Organisation von Macht habe ich mich gefragt, wie denn eine bessere globale Ordnung ausschauen könnte. Die Überzeugung von der Möglichkeit einer anderen Welt hatte ich schon lange, aber die Frage „Wie genau?“ war für mich unbeantwortet und interessierte mich.
Das also habe ich gemacht: Ich habe mir skizzenhaft eine andere gesellschaftliche Ordnung auf globaler Ebene überlegt, die auf ganz anderen Prinzipien als die kapitalistisch geprägte Ordnung beruht, nämlich auf Kooperation statt auf Konkurrenz, mit einer Orientierung am Bedarf und nicht am Profit, mit der Beschränkung von Macht statt einer grenzenlosen Anhäufung, friedlich statt kriegerisch und ohne Grenzen anstatt mit Staaten und Nationen. Was Utopisches halt.
Ich sehe den Menschen als ein Wesen, dessen Eigenschaften ein breites Spektrum umfassen, die ganz einfach gesprochen von sehr schlecht bis sehr gut reichen. Gewiss ließe sich das auch anders betrachten, und man könnte sagen, dass es weder schlechte noch gute, sondern natürliche Eigenschaften sind und dass ja auch die Aggressivität beispielsweise etwas durchaus Positives hat. Es kommt eben auf die Umstände an. Evolution ist noch so ein Stichwort. Aber darum geht es hier nicht. Es gibt eine Reihe von menschlichen Eigenschaften, die für das Zusammenleben in Gemeinschaft nützlicher sind als andere, und manche Eigenschaften sind sogar schädlich.
Es ist auch ohne ein genaueres Hinschauen relativ schnell klar, dass die umgebende soziale Ordnung und das eigene Umfeld den Menschen prägen. Wer in einer friedlichen, gewaltfreien Umgebung aufwächst, in der alles im Überfluss vorhanden ist, der wird ein anderer Mensch werden als jemand, der in einer von andauerndem Krieg, von Tod, Elend, Mangel und Gewalt geprägten Gesellschaft aufwächst. Entsprechend wird eine politisch-ökonomische Ordnung, die die Menschen voneinander isoliert, die den Wettbewerb und den Konkurrenzkampf betont, dabei die marktgerechte Selbstoptimierung propagiert und die eine gesellschaftliche Teilhabe nur gegen Geld und mehr oder weniger unfreie Lohnarbeit gestattet, menschliche Eigenschaften befördern, die weniger sozial sind.
Der Mensch erscheint dann als grundsätzlich egoistisches Wesen. Und natürlich ist der Egoismus charakteristisch für den Menschen. Das ist ja auch durchaus eine evolutionär sinnvolle Eigenschaft. Er ist aber nicht nur egoistisch. Er kann auch äußert selbstlos sein. So selbstlos, dass er sich selbst schadet. Er ist auch empathisch, solidarisch und kooperativ. Das Spektrum ist in viele Richtungen weitreichend. Beim Entwurf einer besseren als der gegenwärtigen Welt geht es auch darum, etwas zu erdenken, was die für ein Leben in Gemeinschaft besseren menschlichen Eigenschaften fördert und die schlechteren einhegt, also beispielsweise den Drang zur Macht durch die Unmöglichkeit der Ansammlung von Macht verhindert und die Kooperation fördert, weil das gesamte ökonomische System danach ausgerichtet ist.
Am Anfang steht die Idee
Für mich war die Frage „Wie genau?“ so wichtig, dass ich nach einer Antwort gesucht habe. Es ist dabei nicht die einzige Antwort, sondern nur eine, die in dieser Form vielleicht möglich ist. Die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber geht in die Richtung, eine andere Form einer menschlichen Gesellschaft zu denken. Sie erscheint auf den ersten Blick wie eine hybride Mischung aus der gegenwärtigen und einer möglichen zukünftigen Welt. Ein anderes Beispiel ist ein Text von Christian Siefkes. Vor nicht ganz zehn Jahren habe ich eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung von Christan Siefkes besucht. Er hat dort über Commons gesprochen. Ich bin an der Stelle auf seine utopische Skizze „Freie Quellen oder wie die Produktion zur Nebensache wurde“ (15) gestoßen.
Auch dieser Text geht in die Richtung, eine andere Welt ein wenig konkreter auszumalen, und verschafft damit eine Vorstellung davon, wie es sein könnte. Der Text von Siefkes betont unter anderem die technologische Entwicklung als Möglichkeit zu einer besseren Welt. Eine solche Komponente spielt hingegen in der von mir erdachten Skizze kaum eine Rolle. Stattdessen habe ich über ein gesamthaftes Konzept für eine globale politische und ökonomische Struktur nachgedacht. Der vielleicht wesentlichste Unterschied der beiden Entwürfe ist die Verwendung von Geld. Bei Siefkes gibt es kein Geld mehr, bei mir ist es als Verrechnungseinheit Mittel zum Zweck — Missbrauch systematisch ausgeschlossen.
Ich denke, dass solche konkreter werdenden Entwürfe einer anderen Welt wichtig sind, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Es gibt jenseits der drei genannten sicher noch eine Reihe mehr, die auf Entdeckung warten. Sie alle können die Diskussion darum bereichern, wie eine andere Welt ausschauen könnte. Das ist nicht nur für diejenigen interessant, die sich die Frage „Wie genau?“ stellen, sondern kann auch bei der Vermittlung helfen, wenn man sagt, dass eine andere Welt möglich ist. Man weiß dann, dass es etwas gibt, dass es mehreres gibt, was diese Welt beschreibt und wo man sagen kann: „Da, schau her.“
Ich denke auch nicht, dass solche Entwürfe schädlich sind, solange sich niemand hinstellt und sagt, dass es genau so und nicht anders sein muss. Zudem ist missionarischer Eifer fehl am Platz, wenn es um die Vermittlung einer alternativen Gesellschaftsform geht. Mit Blick auf solche im weitesten Sinne utopischen Skizzen ist ohnehin völlig klar, dass sie eine zukünftige Welt nicht im Detail vorwegnehmen. Die Vorstellung, dass es genau so werden wird, ist abstrus. Man kann diese Entwürfe als Sammlung von Ideen betrachten, die mögliche Welt- und Zielbilder vermitteln. Die Praxis, die Annäherung, das Ausprobieren bestimmen den Werdegang, wie überhaupt die weitere Entwicklung der menschlichen Gesellschaft im Prozess und nur stückweise vonstatten gehen wird. Und so, wie sich dieser Prozess fortsetzt und entwickelt, so werden sich auch die Ideen und Zielbilder von einer anderen Welt verändern und anpassen.
Konsens über utopische Kernelemente
Das wirklich Interessante an den Entwürfen alternativer bis hin zu utopischen Welten sind nicht die Entwürfe selbst. Sie sind weniger wichtig. Interessant ist das, was sie gemeinsam haben. Es geht darum, die Kernelemente zu identifizieren und hervorzuheben. Mit der gefestigten Überzeugung, dass eine andere Welt möglich ist, sind es dann die Kernelemente, die eine andere Welt beschreiben und die in der Vermittlung dieser anderen Welt im Zentrum stehen. Es müssen nicht die folgenden sein, aber in Teilen könnten sie es sein.
Wer wie ich dem Anarchismus nicht abgeneigt ist, der wird die Herrschaftsfreiheit schon dabeihaben wollen. Ein Kernelement könnte also die vollständige Herrschaftsfreiheit sein. Die Abwesenheit von Herrschaft bedeutet nicht, keine Organisation zu haben. Natürlich braucht es die Organisation von Gesellschaft und von überhaupt allem. Es braucht eine Ordnung, ein System. Es ist bei einem System, das die Macht beschränkt, naheliegend, die Strukturen der Organisation auf die lokale Kommune zu konzentrieren. Ein System lokaler Räte zur Selbstverwaltung wird damit zu einem weiteren Kernelement.
Die Produktion und die Verteilung nach dem Bedarf ist bereits mehrfach genannt worden. Das könnte ebenfalls ein zentraler Baustein sein. Die Sicherung der Grundbedürfnisse aller Menschen gehört selbstverständlich auch mit dazu. Kooperation statt Konkurrenz wird auch nicht vergessen, und — das fehlt noch, folgt aber fast schon aus der Beschränkung von Macht in jedweder Form — die Sache mit dem Eigentum ist ebenfalls so eine Sache. Muss es mehr sein als das Häuschen mit Garten und die Dinge, die darauf und darin sind? Ich wüsste nicht, wieso. In der Form sollte es genügen. Das Sammeln von Dingen muss ja nicht wieder zum Wettbewerb werden.
Es beginnt mit der Bewusstseinsbildung
Ein anderer Ort, eine andere Zeit, eine andere Diskussionsveranstaltung: Nach dem Vortrag beginnt eine lebendige Diskussion. Auch ich beteilige mich wieder und äußere eine Idee, wie es gehen könnte und was zu tun wäre. Aus dem Durchgang in der Ecke ganz am Ende des Raumes höre ich in einem kurzen Moment der Stille eine fast flüsternde Stimme als Antwort. Eine junge Frau, schmal, vielleicht Anfang zwanzig, mit einer Kapuze über dem Kopf, die ihr Gesicht im gedämmten Licht des halbdunklen Raums nur als dunklen Schatten erkennen lässt, sagt: „Es ist die Bewusstseinsbildung.“
Diese Szene ist mir im Gedächtnis geblieben, und auch wenn mich die Erinnerung nach langer Zeit trügen könnte, so gefällt mir diese Version der Geschichte. Diese Einsicht, die für mich damals vielleicht noch keine war, ist zu einer gereift, die ich teile. Es beginnt mit der Bewusstseinsbildung. Das ist sehr mühselig, aber wenn man viele Menschen erreichen und auf dem Weg mitnehmen will, dann wird es viel anders kaum möglich sein. Wir sind an dieser Stelle wieder bei Chomsky und erinnern uns an die von ihm gegebene Antwort darauf, was zu tun ist und was man machen kann, um politisch wirksam zu werden.
Zur Bewusstseinsbildung, will man sich auf den Weg zu einer ganz anderen Gesellschaft machen, gehört zweierlei. Erstens die Kritik des Bestehenden und zweitens ein Verständnis dessen, wohin die Reise stattdessen gehen könnte. Der zweite Punkt ist zuvor schon ausgeführt worden. Bevor man aber überhaupt zu neuen Ufern aufbricht, muss mehr Klarheit darüber geschaffen werden, warum das sinnvoll ist. Wie das? Wenn kein Übel erkannt wird, dann gibt es auch keine Notwendigkeit zum Aufbruch. Man muss nicht jeden und jede überzeugen, und erzwingen passt nun auch nicht. Ein wenig Aufklärungsarbeit darf aber versucht werden.
Es erscheint aber doch etwas anders. Es gibt ein weit verbreitetes Unbehagen und eine mal mehr, mal weniger deutliche Erkenntnis, dass das bestehende System nicht gut ist. Die Ungleichheiten und vielfachen Zerstörungen von Mensch, Tier und Natur sind offenkundig, werden wahrgenommen und auch mit der kapitalistischen Grundordnung und den Mängeln der demokratischen Repräsentation in Verbindung gebracht. An der Stelle geht aber noch einiges mehr. Die Kritik am Kapitalismus kann in der Breite noch viel gründlicher erfolgen und erst auf diesem Weg zu einem tieferen Verständnis und zu einem sich dadurch ausbildenden Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Änderung führen. Dies ist der Teil, den man auch als Aufklärungsarbeit bezeichnen kann.
Wer dann immer noch meint, dass es so, wie es ist, gut ist und dass es anders nicht besser gehen wird, der behält das Recht auf seine Ansicht. George Orwell, ein weiterer Teilnehmer am spanischen Bürgerkrieg aufseiten der Anarchisten, meinte irgendwann in der Zeit zwischen 1933 und 1945 sinngemäß, dass die Sozialisten zu viel um sich selbst gekreist seien und es versäumt hätten, noch mehr Sozialisten zu machen. Der Punkt verdient in jedem Fall Beachtung, wenn wir an die Bewusstseinsbildung und an den Gewinn von Gleichgesinnten denken. Andererseits wird man — sicher im Hier und Jetzt — den absolut größten Teil der Menschen nicht erreichen und auch nicht dazu bewegen können, sich woandershin auf den Weg zu machen.
Ich meine, dass das Verhältnis ausgewogen sein muss. Wo man überzeugen kann, da ist es gut. Wo das nicht gelingt oder nicht geht, da muss auch Platz sein, dass andere Sichtweisen gelten können. Wer ausbrechen will, wen die Sehnsucht nach Veränderung antreibt und wer zusammen mit anderen — aus welcher Motivation heraus auch immer — etwas Neues und ganz anderes schaffen will, der soll genau das versuchen. Einen Zwang, mitzugehen, sollte es nicht geben. Umgekehrt darf denjenigen aber, die sich auf den Weg machen wollen, dies nicht verwehrt werden. Dieser Anspruch alleine wird Widerstände, die in den Blick zu nehmen sind, nicht verhindern. Konkret noch einmal: Wenn der Weg in eine andere Welt keine Flucht auf eine fast einsame Insel werden soll, während sich ansonsten nichts ändert, dann braucht es viele Menschen.
Bildet Banden!
Wir sind schon wieder bei Chomskys Antwort und erinnern uns: Der Mensch muss heraus aus seiner Isolation, sich mit Gleichgesinnten zusammentun, um sich dann zu engagieren. In ihrer Suche nach einer neuen Strategie haben Teile der radikalen Linken in Deutschland den Stadtteil, also den Ort vor der eigenen Haustür, als geeigneten Ort zur politischen Einmischung mit dem Ziel einer gesellschaftlichen Emanzipation ausgemacht. Der Gedanke, die politische Verantwortung zur Selbstverwaltung auch in der fernen Zukunft in der Kommune vor Ort zu haben, passt gut dazu, selbst wenn die Bedingungen für die politische Selbstverwaltung heute noch nicht gegeben sind.
Weiterhin passt gut dazu, dass das langfristige Ziel die Transformation der gesamten Gesellschaft ist, es also den Wandel an allen oder doch an vielen Orten erfordert, und warum also nicht — ganz naheliegend — vor der eigenen Tür und im eigenen Umfeld damit beginnen? Die Kommunistische Partei Italiens formulierte bildhaft eine ähnliche Strategie zur Verbreitung und Machtübernahme, die gut zum stark von der katholischen Kirche geprägten Land passte: „Eine Parteigruppe für jeden Kirchturm“.
Die Herausforderung ist gleich zu Beginn schon groß. Schon Mills schrieb über die Vereinzelung der Menschen in der Großstadt und verband die Konzeption der Machtelite mit der Konzeption der Massengesellschaft, die für ihn untrennbar zueinander gehörten. Heute, nach Jahrzehnten im neoliberal geprägten Kapitalismus, haben sich diese Tendenzen noch erweitertet und verfestigt. Wenn man den Nachbarn von gegenüber, mit dem man Tür an Tür seit 20 Jahren lebt, noch nicht einmal dem Namen nach kennt, dann ist es schwierig, ins Gespräch zu kommen, geschweige denn „Banden zu bilden“. Auch dieser Schritt steht also am Beginn, und es macht nicht so den Unterschied, ob man sich lokal vor Ort oder in einem anderen Kontext zusammenfindet; es wird zu Beginn schwierig sein, überhaupt wieder mit Menschen in Kontakt zu treten und Verbindungen zu schaffen.
Der Mensch ist aber ein soziales Wesen und am produktivsten in der Gemeinschaft. Und die Qualität des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit ist noch eine ganz andere, wenn dies von Angesicht zu Angesicht stattfindet. Nach über zwei Jahren, während derer das virtuelle Leben und Arbeiten einen sehr großen Raum eingenommen hat, muss man das noch einmal betonen: Gemeint ist die Zusammenkunft in physischer Präsenz. Mills gibt uns dazu passend noch mehr an die Hand für das Funktionieren einer Demokratie und zeigt dabei auf, wie man sich den Tendenzen der Massengesellschaft, der Isolation und der Unmündigkeit widersetzen kann. Er verweist auf die Konzeption der Öffentlichkeit in der klassischen Vorstellung von der Demokratie im 18. Jahrhundert. Demnach soll die Öffentlichkeit aus unabhängigen Diskussionsgruppen bestehen, in denen der politische Meinungsbildungsprozess stattfindet. Die unzähligen Diskussionsgruppen werden durch wendige und rührige Personen miteinander vermischt und Ansichten von einem Kreis zum anderen getragen. Eine Fortsetzung finden diese Diskussionen dann im Parlament. Auf diesem Weg entspringt die Autorität aus der Gesellschaft als Ganzes (16).
Utopische Projekte in der Nachbarschaft
Wenn wir die vorstehenden Überlegungen kurz zusammenfügen und um die praktische Transformation in den Rissen und Nischen des Systems ergänzen, dann könnte eine Strategie darin bestehen, lokale Gruppen zu bilden, die in der Diskussion das Bestehende einer kritischen Sichtweise unterziehen und sich gleichzeitig dem Neuen nähern. Darüber hinaus könnten konkrete Projekte vor Ort verfolgt und überlegt werden, was man vor Ort machen kann und möchte. Bleibt es bei einer Diskussionsrunde? Tritt man in die Öffentlichkeit? Wie leistet man Aufklärungsarbeit? Eröffnet man ein Stadtteilcafé als Treffpunkt oder gründet und engagiert man sich gleich in einem nichtkapitalistisch organisierten Betrieb? Ein anarchistischer Buchladen könnte beispielsweise ein bürgerlich geprägtes Viertel schöner gestalten. Es geht darum, das Zukünftige schon im Hier und Jetzt mit Leben zu füllen. Man wird dann feststellen, dass die Anarchie — oder was immer man dann auch ausprobiert — auch so ihre Tücken hat.
Ein weiterer Punkt ist die Vernetzungsarbeit. Wer sich schon einmal politisch außerhalb des etablierten Betriebs engagiert hat, weiß, dass die überkommunale Vernetzung einen zusätzlichen Aufwand in einer ohnehin schon belasteten Situation darstellt. Nicht immer ist sie zudem fruchtbar. Die überregionale Verbindung aber ist im digitalen Zeitalter keine so ganz große Hürde mehr, und im Grunde genügt es, voneinander zu wissen. Vielleicht teilt man auch Wissen miteinander. Viel mehr muss es am Anfang gar nicht sein. Alles andere wird sich finden, aber der Netzwerkaufbau selbst — auch international gedacht — muss mitgedacht und betrieben werden.
Die Verbreitung von Ideen
Die Sache kann auch von der anderen Seite noch einmal betrachtet werden, indem man darauf schaut, wie Ideen, Vorstellungen und Ideologien von oben, also von elitärer Seite, vermittelt werden. Wir hatten schon angedeutet, dass über die Medien in wesentlichen Teilen die Sichtweise der Herrschenden transportiert wird. Ohne das an dieser Stelle differenzierter zu betrachten, lässt sich festhalten, dass die öffentlichen Diskussionen oft in einem sehr begrenzten Meinungsraum stattfinden und dass manche Diskussionen gar nicht erst geführt werden. Noch ein wenig anders, aber sehr effektiv, sind Kampagnen, wie die im zweiten Teil kurz beschriebene zur Verteidigung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Die Dimension und der gewaltige Mitteleinsatz bringen am Ende den Erfolg.
Es gibt bei den genannten Kampagnen einen Ansatzpunkt, der sich auch an anderer Stelle findet. Die Frage, wie man Ideen verbreitet, hat auch die Vordenker des Neoliberalismus in der Mont Pèlerin Society beschäftigt. Der Gedanke war, in den Institutionen Fuß zu fassen, um von dort aus die Ideen weiterzuverbreiten. Auf den Bildungseinrichtungen, dem wissenschaftlichen Betrieb, den Universitäten und Schulen lag ein besonderer Schwerpunkt. Der Begriff der Institutionen lässt sich aber noch viel weiter denken und auf den politischen und auch auf den wirtschaftlichen Bereich ausdehnen. Man kann also politische Stiftungen oder Vereinigungen auf nationaler oder lokaler Ebene damit bekanntmachen oder bei Unternehmensverbänden vorsprechen. Auf diese Weise lässt sich ein Netzwerk von Multiplikatoren aufbauen, das tonangebend in den Institutionen ist und die Idee weitertragen kann. In diesen Zusammenhang passt gut, dass Chomsky mit Blick auf die Elite von der am stärksten indoktrinierten Schicht spricht.
Durch den Blick darauf, wie Ideen von oben durchgesetzt werden, schafft man eine Abgrenzung und Klärung, wie es andersherum, also von unten, gehen müsste. Die Mund-zu-Mund-Propaganda kann dafür als ein einfaches Bild dienen. Es geht dabei um den Austausch von Mensch zu Mensch, lokal vor Ort im Gespräch, so wie in den von Mills skizzierten Öffentlichkeitsgruppen, und dann aber auch virtuell und medial auf anderen Wegen, die ja ebenfalls zur Verfügung stehen. Ob man für die mediale vermittelte Diskussion auch — ganz „sportlich“ und bewusst — das „Feld des Gegners“ (17) betritt, ist noch eine andere Frage.
Hier mit Blick auf die etablierte Medienwelt von einer politisch gedachten Gegnerschaft zu sprechen, ist nicht unbedingt konstruktiv, hat aber eine gewisse Berechtigung, da die Ansichten nicht selten disjunkt erscheinen und sich im Widerspruch diametral gegenüberstehen, sodass man sich hüben wie drüben zu der Aussage verleiten lassen kann, auf der anderen Seite würden sich nur Idioten tummeln. Die Fronten sind verhärtet. Welchen Weg man dafür auch wählt, wird die Offenheit der Diskussion dabei sehr wichtig sein, will man mehr Menschen erreichen außer denen, die ihren Weg schon in die eigene Echokammer gefunden haben. Aus dieser muss man immer wieder ausbrechen.
Eigene Strukturen aufbauen und Freiräume schaffen
In den vorstehenden Überlegungen wird der Aufbau eigener und autonomer Strukturen betont. Dazu gehört auch, sich möglichst unabhängig zu machen — nicht nur gedanklich, sondern auch zeitlich und finanziell. Es braucht eine individuelle Bereitschaft zum Ausstieg aus dem Alten, um das Neue in Angriff zu nehmen. Es ist klar, dass das, was so einfach klingt, sehr schwierig zu realisieren ist, aber es muss kein abrupter und vollständiger Bruch sein. Ein Aus- und Einstieg kann auch sukzessive erfolgen. Ohnehin ist das immer von sehr individuellen Umständen abhängig und dementsprechend eine individuelle Entscheidung. Es ist aber ein Gedanke und Teil eines möglichen Wegs, sich zunehmend auf andere Strukturen zu konzentrieren. Konkret in ökonomischer Form gedacht: Vielleicht habe ich die Möglichkeit, in einem nichtkapitalistischen Betrieb zu arbeiten oder mich dort einzubringen. Oder ich kaufe eben dort ein, wenn ich genau dieses Produkt oder diese Leistung gerade benötige, und nicht in der Filiale der nationalen Kette nebenan, die dazu noch Teil eines Großkonzerns ist.
Bevor der Plan nun gleich zusammenfassend geschmiedet wird, ein letzter Gedanke: Der Fokus mag auf dem Aufbau eigener Strukturen liegen und doch ist klar, dass das Neue im Alten beginnt oder, anders gesagt, dass eine systematische Transformation nur ausgehend von der bestehenden Ordnung möglich ist. Welche Rolle, ist dann die Frage, kann und soll die parlamentarische Demokratie, die ja formell den Schlüssel zur Macht bietet, einnehmen? Aus dem vorstehenden Text lässt sich nicht ableiten, dass es eine neue Partei braucht, die als Avantgarde den Weg in die neue Welt weist, um am Ende, wenn der Dienst getan ist, ihre Macht aufzulösen.
Bei der Verteidigung und bei der Gewinnung gestalterischer und demokratischer Freiräume kann es mehr als nützlich sein, wenn es politische und parlamentarische Kräfte gibt, die genau solche Möglichkeiten schaffen. Das kann im Einzelnen viele Formen annehmen. Eine würdige und schikanefreie finanzielle Existenzsicherung, die Reduzierung von Arbeitszeit und am allermeisten die Ausweitung demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten können sehr hilfreich sein. Dazu kann eine deutliche Verlagerung von politischen Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten — im Kapitalismus heißt das nicht selten auch Geld — in die Kommune gehören.
Volksentscheide über wesentliche politische Entscheidungen könnten dazu gehören sowie die Absetzung von missliebigen Politikern oder auch die Schaffung einer neuen gesetzgeberischen Institution auf der allerobersten Ebene. Mir gefällt der Vorschlag, eine weitere politische Kammer zu schaffen, die am legislativen Prozess im wahrsten Sinne des Wortes entscheidend beteiligt und einfach per Losverfahren aus der Bevölkerung zusammengesetzt wird. Wenn Politik für die Menschen gemacht wird, dann müssen diese auch immer verstehen, was warum gemacht wird, und eben in der demokratischen Öffentlichkeit mitreden können. Fehlende Expertise kann daher sicher kein Grund sein, der gegen die Besetzung per Zufall spricht.
Der Plan — eine Strategie zur Transformation
Für den Moment ist es genug gesponnen. Alles bis hierhin Entwickelte soll nun noch einmal zusammengefasst werden. Wenige weitere Gedanken kommen ausführend und als Ergänzung hinzu.
Es beginnt mit einer Idee, also mit einer Vorstellung davon, was das Ziel der Reise ist. Die andere Welt soll gedanklich entstehen und damit anschaulich und begreiflich werden. Im Vordergrund steht dabei weder dieser noch jener Entwurf, sondern es sind die Kernelemente, die es festzulegen gilt und über die eine Einigkeit erzielt werden muss. Nur dann lässt sich mit vereinten Kräften arbeiten, und wenn klar ist, wie das Ziel ausschaut und dass es erreichbar ist, können mit deutlich größerer Wahrscheinlichkeit mehr Zuspruch, Unterstützung und Teilhabe erzeugt werden. Zum Beginn gehört genauso die Bewusstseinsbildung, die einerseits eine Aufklärung und damit eine Kritik des Bestehenden enthält und anderseits die Alternativen mitdenken soll.
Das Bewusstsein bildet man dabei nur schwer im stillen Kämmerlein und für sich alleine; dort jedenfalls wird es nicht zu sehr viel führen. Die Transformation einer ganzen Gesellschaft, die Änderung der politischen und ökonomischen Ordnung, wird kein elitäres Projekt sein und kann auch nicht von einer klandestinen Gruppe bewerkstelligt werden. Die Änderung der Gesellschaft geht nur mit der Gesellschaft. Dafür müssen die Menschen wieder zueinanderfinden, Bezugsgruppen bilden, also in Kontakt miteinander treten, sich austauschen und gemeinsam an einer Sache arbeiten. Man muss heraus aus der Isolation und sich zusammenschließen.
Diese Gruppen, die am besten als lokale Gruppen vor Ort gedacht werden können, müssen eine Verbindung untereinander schaffen. Diese Vernetzung bedarf am Beginn keiner großen Intensität. Wichtig aber wird sein, die Transformation gleich auf der globalen Ebene zu denken. Das betrifft damit sogleich die Vernetzung wie auch den Austausch, und damit wird dann auch klar, dass die Idee im Sinne eines Zielbildes eines sein oder werden muss, das globalen Zuspruch — über die verschiedenen Kulturen hinweg — erhält.
Kann das überhaupt funktionieren? Diese Frage drängt sich fast schon auf, wenn man an die Vielfalt menschlicher Kulturen und menschlichen Zusammenlebens auf diesem Planeten denkt. Andersherum gedacht löst sich dieses Problem vielleicht, indem man fragt, ob die Menschen überhaupt so verschieden sind. Sind wir uns als Wesen in unseren Grundzügen nicht auch über die verschiedenen Kulturen hinweg sehr ähnlich, und sind es nicht die gleichen Grundbedürfnisse, die wir alle gemeinsam haben? Könnte darüber nicht eine globale Einigkeit erzielt werden?
Ich erinnere mich an die Bemerkung eines weltreisenden Paares, das auf einer langen Reise die ganze Welt umrundet und dabei mit vielen Kulturen und Menschen in Kontakt getreten ist. Eine Erkenntnis war, dass sich die Menschen im Grunde überall auf der Welt ziemlich ähnlich waren und man — nur ein positives Beispiel — Gastfreundschaft, Offenheit und Hilfsbereitschaft an jedem Ort der Erde in gleicher Weise findet. Dieser Gedanke macht Mut und hilft, wenn es darum geht, an eine Gesellschaft zu denken, die dann zu Recht als Weltgesellschaft oder auch als Menschheitsfamilie bezeichnet werden kann.
Die Idee als Zielbild, die Bewusstseinsbildung und die Bildung von Bezugsgruppen sollte durch die praktische Erprobung und Vorwegnahme des Neuen im Alten begleitet werden. Klar ist, dass die Transformation nur im Hier und Jetzt und im Bestehenden beginnen kann. Es ist gut, dafür die vorhandenen Nischen und Risse zu nutzen, seine Freiräume zu verteidigen und zu erweitern. Diese praktische Seite wie auch die gedankliche Auseinandersetzung, die Theorie, können sich wechselseitig befördern und auf diese Weise flexibel entwickeln. Die Theorie darf dabei kein starres Konstrukt sein.
Idee und Umsetzung mögen so weit ganz gut sein und gelingen, doch es wird nicht alles glattlaufen. Früher oder später wird man auf Widerstände treffen. Diese gilt es schon im Vorfeld mitzubedenken. Damit sind weniger die Widrigkeiten gemeint, die einem beim praktischen Ausprobieren begegnen, wo doch die Theorie noch so schön und einfach geklungen hat, sondern die systemischen Widerstände, die aus Interessengegensätzen resultieren. In jedem Fall hilft es, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, sondern es unbeirrt weiterzuverfolgen. Der Weg der Gewaltlosigkeit ist dabei in doppelter Hinsicht das geeignete Mittel der Wahl. Es wäre ein kaum aufzulösender Widerspruch und ein Irrweg, wenn der Weg in eine allseits befriedete Welt ein gewaltsamer wäre. Nicht nur soll er also das Zukünftige vorwegnehmen, sondern er erscheint ob der physischen Machtmittel, die vor allem von staatlicher Seite eingesetzt werden könnten, alternativlos.
Widerstände können auch vermieden werden, indem man sich weniger angreifbar macht. Wenn man eine globale soziale Bewegung als ein Netzwerk lokaler Gruppen ohne führende Persönlichkeiten und ohne eine hierarchische Struktur denkt, nimmt man nicht nur erneut eine möglicherweise angestrebte Welt vorweg, sondern man bietet weniger Angriffspunkte. Wenn wirklich geteilte Ideen und Vorstellungen und nicht Personen und hierarchische Strukturen maßgeblich und charakteristisch sind, dann ist da auch nichts, was man in dieser Form wegnehmen kann, um eine bestehende Bewegung zu schwächen oder zu zerstören.
Natürlich wird es immer Wortführer, Vernetzungsarbeiter und eine Menge eifriger Menschen geben, aber am Ende macht’s die Menge der Menschen. Die Begriffe Basisorganisierung und Basisdemokratie geben schon Aufschluss darüber, worum es geht: um die Selbstermächtigung vor Ort. Es sei noch einmal betont: Wenn Ideen und geteilte Visionen und ein gemeinsames Ziel vorhanden sind, dann müssen diese Elemente eine Verbindung schaffen, die mögliche Spaltungen verhindert. Solidarität ist an dieser Stelle kein leerer Begriff, wenn man sich im rechten Moment auf das Verbindende konzentriert.
Die Auseinandersetzung darf nicht gewalttätig erfolgen. Sie kann anderseits bestehende Mittel der demokratischen Ordnung nutzen. Progressive politische Kräfte und Parteien, so es sie denn gibt oder sie sich entwickeln, können sich dafür einsetzen, den Menschen Freiräume und Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen, für eine Grundsicherung und ein Auskommen zu sorgen und demokratische Beteiligungsrechte auszuweiten. Eine internationale Politik muss zudem auf eine friedliche und kooperative Welt orientieren, die akute Probleme, welche die Menschheit als Ganzes betreffen, in Angriff nimmt. Der Klimawandel, der keine nationalen Grenzen kennt, ist nur eines davon.
Die Antwort, die hier nun auf die Frage nach dem Weg gegeben ist, ist wenig mehr als die Antwort von Chomsky zu Beginn. Sie ist vor allem gedacht als Antwort auf die Frage nach dem Weg zu einem anderen System, um den einen oder anderen Gedanken erweitert und hier und da weiter ausformuliert. Wesentlich hinzugekommen ist die Vorstellung von einer anderen Welt als ein Zielbild zum Start der Reise.
Der Weg erscheint am Anfang sehr weit, doch starten wir nicht mit nichts. Wir haben bereits die Ideen, und es gibt viele Menschen, die bereits jetzt anders arbeiten und leben und schon die Veränderung leben, die sie in der Welt sehen wollen. Darauf lässt sich aufbauen. Die Keimzellen sind vorhanden. Vieles erscheint dieser Tage nicht gut und eher bedrohlich, doch auf der anderen Seite ist die Ansicht, dass die Welt noch nie so schlecht war wie heute, auch zeitlos. Der richtige Zeitpunkt zum Handeln ist immer jetzt oder um es ein letztes Mal mit Chomsky zu sagen: Nichts tun ist keine Alternative.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.rubikon.news/artikel/der-systemwechsel
(2) Noam Chomsky: Rebellion oder Untergang!, Westend Verlag, 2021, Seite 8.
(3) Ebenda, Seite 11.
(4) Ebenda, Seite 75.
(5) Noam Chomsky, „Eine Anatomie der Macht“, Europa Verlag, 2003, Seiten 103 bis 107.
(6) Charles Wright Mills, „Die amerikanische Elite“, Holsten-Verlag Schenke & Haß, 1962, Seiten 148 und 149.
(7) Ebenda, Seite 93.
(8) Ebenda, Seite 212.
(9) Le Monde diplomatique, Deutschsprachige Ausgabe vom Januar 2022. Dossier Europas Linke mit den Artikeln „Trauerspiel in Rot“, „Sie nannten sich Podemos“ und „Das seltsame Verschwinden des PCI“.
(10) „Der zynische Sieg des Macronismus“ von Serge Halimi, Le Monde diplomatique, Ausgabe vom Mai 2022.
(11) Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine, Promedia Verlag, 2015, S. 158 — 160 und S. 165 — 168. Siehe auch Fabian Scheidler: Chaos, Promedia Verlag, 2017, S. 153 — 164.
(12) Armin Wertz: Die Weltbeherrscher, Westend Verlag, 2017, S. 105.
(13) Noam Chomsky: Eine Anatomie der Macht, Europa Verlag, 2003, S. 212.
(14) https://www.socialnet.de/rezensionen/23165.php
(15) https://keimform.de/wp-content/uploads/2013/04/jourfixe-freie-quellen.pdf
(16) Charles Wright Mills: Die amerikanische Elite, Holsten-Verlag Schenke & Haß, 1962, Seiten 193 bis 194 und Seiten 212 folgende. Es ist nicht nur lesenswert, was Mills zu den Öffentlichkeitsgruppen und zur Unmündigkeit der Menschen in der Massengesellschaft zu sagen hat. Das gesamte Werk hat nur wenig von seiner Aktualität verloren und kann mit viel Gewinn auch heute noch gelesen werden.
(17) https://gegneranalyse.de/. Dort steht: „Immer mehr Menschen nutzen sogenannte alternative Medien als Informationsquelle. Sie wirken weit in die Gesellschaft und schüren das Misstrauen gegen die parlamentarische Demokratie, gegen Wissenschaft und Medien. Gegneranalyse setzt sich kritisch mit Kanälen auseinander, die sich in Opposition zur bestehenden Medienöffentlichkeit sehen. Wir wollen aufklären, wie die systemoppositionellen Gegenmedien zu einer Radikalisierungsmaschine werden und was man ihnen entgegensetzen kann.“ Der Begriff der „Gegneranalyse“ wird so erklärt: „Der Name Gegneranalyse ist eine Kurzform des ursprünglichen Titels des vorausgegangenen Projekts ‚Die liberale Demokratie und ihre Gegner‘. Er beschreibt unser Ziel, die selbsterklärten Gegner der liberalen Demokratie zu analysieren. Dabei geht es nicht darum, jemanden zum politischen Gegner zur erklären. Der Begriff greift vielmehr die Selbstbeschreibung derjenigen auf, die sich als Gegner der offenen Gesellschaft verstehen. Der Begriff Gegneranalyse ist bekannt aus dem Sport, wo etwa Fußnallmannschaften vor Spielen ihren Gegner analysieren. Wir haben den Begriff auch deshalb gewählt, weil wir unsere Arbeit sportlich sehen — als intellektuelle Herausforderung, sich mit antiliberalen Positionen auseinanderzusetzen. Es geht nicht um Denkverbote oder schwarze Listen, sondern um eine inhaltliche Auseinandersetzung. Wir hoffen, auf diese Weise darüber aufklären zu können, woher antiliberales Denken kommt, wie es sich verbreitet und welche Gefahren damit verbunden sind. Man spricht bei der Gegneranalyse davon, gerade keine politische Gegnerschaft anzustreben, sondern erklärt den Begriff umgekehrt so, dass diejenigen, die hiermit untersucht werden sollen, sich selbst so — also als Gegner — bezeichnen.
Der Beitrag erschien zuerst als dreiteilige Artikelserie im Rubikon zwischen dem 20.07. – 27.07.2022. Der erste Teil findet sich unter https://www.rubikon.news/artikel/anleitung-zum-systemwechsel